Die letzten Zeugen - Das Buc

FRITZ RUBIN-BITTMANN


 
 

FRITZ
RUBIN-BITTMANN

geb. 1944-09-05
lebt heute in Österreich

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Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Die Schüler Philipp Taxer und Patrick Somweber von der HS Ehrwald haben die Lebensgeschichte von Fritz Rubin-Bittmann recherchiert und mit ihm gemeinsam Mauthausen besucht.

Geboren mitten im Holocaust in einem dunklen Keller in Wien

Fritz Rubin-Bittmann wurde am 5.9.1944 in einem Keller in Wien-Leopoldstadt geboren. Seine Eltern Sidonie und Josef Rubin-Bittmann überlebten als "U-Boote", versteckt in Wiener Wohnungen und Kellern. Dennoch haben sie anderen Verfolgten geholfen.

Als Fritz Rubin-Bittmann am 5. September 1944, mitten im Holocaust, der industriell geplanten Vernichtung der Juden, in einem fensterlosen Kellerabteil des mit Hakenkreuzfahnen geschmückten Hauses in der Zirkusgasse, geboren wurde, war er das letzte jüdische Kind, das mitten im nationalsozialistischen Wien zur Welt kam. Seine Geburt inmitten all des Todes sprach sich unter den Juden rasch herum und sie gab vielen der etwa 600 in Österreich versteckten Juden, die als sogenannte „U-Boote“ das Dritte Reich zu überleben versuchten, so etwas wie eine neue Hoffnung. „Dass ich als Kind zweier U-Boote in einem Versteck zur Welt gekommen bin“, sagt Fritz Rubin-Bittmann „hat den anderen Versteckten Kraft gegeben, weiter durchzuhalten.“

Die Geschichte des Fritz Rubin-Bittmann ist so dramatisch wie einzigartig. Sein Vater, Josef Bittmann, wurde in der Reichskristallnacht verhaftet, nach der Freilassung hätte er die Möglichkeit gehabt, sich über Jugoslawien nach Palästina abzusetzen, doch er blieb. Weil er sich als Österreicher fühlte und nicht glauben wollte, dass Hitler sich tatsächlich halten könnte. Seine Mutter, Sidonie B., hätte nach England flüchten wollen, doch sie wartete auf ihre Mutter, bis es zu spät war. Josef Bittmann tauchte in den Untergrund ab. Sidonie fand sich plötzlich auf einer Deportationsliste, ihre Wohnung wurde ausgehoben, sie musste nun ebenfalls untertauchen. Gemeinsam versteckten sie sich in verschiedenen Kellern des zweiten Bezirks, stets in Gefahr, denunziert zu werden oder einer Razzia zum Opfer zu fallen. Als Josef Bittmann etwa einmal auf der Friedensbrücke von Polizisten angehalten wurde, sprang er, es war November, in den eiskalten Donaukanal und schwamm um sein Leben.

Trotz der permanenten Lebensgefahr und dem Wissen, im Fall der Entdeckung sofort ins KZ deportiert zu werden, organisierten Fritz Rubin-Bittmanns Eltern aus dem Versteck heraus sogar Hilfe für andere Versteckte. Über eine Verwandte im Ausland ließ Josef Bittmann Lebensmittelpakete an Deckadressen schicken, er überzeugte etwa einen Beamten, der für die Vernichtung der Lebensmittelkarten zuständig war, diese an ihn weiterzugeben und er fand auch nichtjüdische Helfer, wie die Wienerin Anna Maria Haas. Sie versorgte das Paar jahrelang mit Essen, Verstecken und Medikamenten. 1982 kam Anna Maria Haas dafür – wie zum Beispiel Oskar Schindler – auf die Liste der Gerechten. Und Anna Maria Haas war es auch, die Fritz Rubin-Bittmann sofort nach der Geburt aus dem Kellerloch holte und an ein Hausmeister-Paar, das sich dafür gut bezahlen ließ, weiter reichte. Was die Pflegeeltern freilich nicht daran hinderte, das Baby in den letzten Kriegstagen bei den Bombardements aus der Luft auf den Dachboden des Hauses zu stellen. In der Nähe jenes Hauses, wo noch am 12. April 1945, wenige Stunden vor dem Eindringen der Roten Armee in die Wiener Leopoldstadt, neun Juden, die sich bis zu diesem Zeitpunkt verstecken konnten, von einem Kommando der SS erschossen wurden.

Doch Fritz Rubin-Bittmann hat überlebt. Als Symbol, dass ein Überleben möglich war, wenn nicht alle weg geschaut haben, wenn, wie er es ausdrückt, „Menschen Menschen waren“. Dass er sich am Projekt „A Letter To The Stars“ beteiligt, ist ihm sehr wichtig: „Ich will erzählen, dass man, wenn man ein Mensch ist, immer helfen kann. Und dass man täglich aufs Neue um die Werte der Gesellschaft kämpfen muss. Denn das, was war, kann sich jderzeit wiederholen - die Menschen damals waren ja nicht dümmer oder schlechter als heute." Fritz Rubin-Bittmann möchte alle österreichischen Holocaust-Überlebenden in das Projekt einbinden: „Dass hier Schüler Geschichte schreiben, tut uns Überlebenden sehr gut."

Wie konnten Ihre Eltern mit dem Erlebten umgehen?
Meine Mutter weinte oft, wenn ich sie in irgendeiner Weise an früher erinnerte. Sie hatte nachts oft Angst, dass man sie wieder fortbringen würde. Außerdem hatte sie, wie mein Vater auch, ein Zuckerleiden. Mein Vater wirkte oft betroffen. Beide Elternteile erzählten häufig von ihren Erlebnissen.Mein Vater wurde 1938 verhaftet, weil er Jude war. Im Gefängnis gab es einen rassistischen Wärter, der die Gefangenen misshandelte. Er spuckte sie beispielsweise an oder brachte sie zu Fall, wenn sie vor ihm hergingen. Mein Vater ließ sich das nicht gefallen und gab ihm eine Ohrfeige. Als mein Vater freikam, zeigte er den Wärter nicht einmal an. Wien wurde währenddessen zu einer Geisterstadt. Der Grund waren natürlich die Judenverfolgungen. Jene Juden, die nicht emigrieren konnten, wurden deportiert. Mein Vater zeigte mir später die Stellen in Wien, an denen Leute (und auch Bekannte) erschlagen, erschossen oder verprügelt wurden. Ich selbst konnte zum Beispiel bis zu meinem zwölften Lebensjahr nicht alleine im Raum einschlafen.

Was empfinden Sie heute,wenn Sie sich an Erlebnisse zurückerinnern?
Ich bin froh, dass ich überlebt habe. Eine gläubige Katholikin, Anna Maria Haas, ließ meinen Vater bei sich wohnen und gab ihm zu
essen. Solchen Menschen gegenüber empfinde ich große Dankbarkeit.

Was möchten Sie unserer Generation mitgeben?
Es ist wichtig, dass man in jeder Situation dem Mitmenschen gegenüber Respekt zeigt.

Was bewirkt Ihrer Meinung nach die Aufarbeitung durch „A Letter To The Stars“?
„A Letter To The Stars“ ist für mich das wichtigste schulische Projekt der Zweiten Republik. Man kann viel Objektives über den Krieg nachlesen, doch dabei erfährt man nichts über die schrecklichen Einzelschicksale.

Patrick Somweber, Philipp Taxer, Margaretha Kerber (Projektleiterin), HS Ehrwald

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Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Es war ein Leben auf Abruf, im Wartesaal des Todes ...

Fritz Rubin-Bittman kam im September 1944 als letztes jüdisches Kind mitten im nationalsozialistischen Wien zur Welt. Gemeinsam mit seinen Eltern konnte er als "U-Boot" überleben, versteckt in Wiener Wohnungen und Kellern.

Meine Geburt erfolgte während des größten Genozids der Menschheit. Ich war von der ersten Sekunde meiner Existenz als Kind jüdischer Eltern verfolgt und wäre vermutlich von den Nazis sofort getötet worden, hätte man mich gefunden. Das Wissen um diese Situation tödlicher Bedrohung und drohender Vernichtung wurde mir von meinen verstorbenen Eltern sowie durch die Berichte von Freunden und Bekannten meiner Eltern, die diese aus jener Zeit der Verfolgung kannten, vermittelt. Meine Erlebnisse sind zwar authentisch, das Wissen darüber stammt aber aus der Erzählung von Drittpersonen.

Mein Vater war unermüdlich auf der Suche nach neuen Quartieren. Auf diese Weise hatte er auch meine Mutter kennen gelernt. Die Quartiersuche wurde immer schwieriger. Meine Mutter wohnte um 1941/42 allein in einer Wohnung im 9. Bezirk. Da sie Angestellte der Israelitischen Kultusgemeinde war, genoß sie damals noch einen relativen Schutz vor Aushebungen und Deportationen. Ein Bekannter hatte meinem Vater geraten, sie um Hilfe zu bitten. Nach anfänglichen Bedenken, als alleinstehende Frau – auf ihren guten Ruf bedacht – einen wildfremden Mann bei sich einziehen zu lassen, bot sie meinem Vater in ihrer Wohnung eine Zeitlang Schutz.

Eines Tages wurde an die Wohnungstür geschlagen, immer heftiger, so heftig, dass meine Mutter öffnen wollte. Mein Vater hielt sie zum Glück davon ab. Es war der jüdische Ordnungsdienst, der gekommen war, um sie zu einem Transport abzuholen. Es wurde draußen geschrien, man würde mit Verstärkung wiederkommen und die Tür einschlagen. Kaum war die Judenpolizei weg, flüchteten meine Eltern. Sie nahmen bloß einige Habseligkeiten als Handgepäck mit. Ein, zwei Nächte haben sie bei Bekannten, den Horaks zugebracht. Danach mussten sie ein neues Versteck suchen.

Mein Vater hatte in seinem Überlebenskampf als U-Boot eine Vielzahl von Abwehr- und Überlebensstrategien entwickelt. Meine Eltern wechselten mehrmals innerhalb kurzer Zeit ihr Quartier. Ihre letzte und längste Station jedenfalls war die fensterlose stickige Kammer einer Hausmeisterwohnung in der Wiener Ferdinandstraße. Das Hausmeisterehepaar war ihnen aber nicht im geringsten wohlgesinnt, sondern stellte diesen Raum bloß gegen Geld zur Verfügung. Geld verdiente mein Vater durch besonderen Mut und besonderes Geschick. Er war all die Jahre hindurch in der Stadt unterwegs, ohne den gelben Stern zu tragen. Ständig musste er fürchten, identifiziert zu werden, etwa durch einen Bekannten von früher oder bei einer Kontrolle oder bei einer Razzia in die Hände der Polizei zu fallen.

Die Angst, entdeckt zu werden, war der ständige Begleiter meiner Eltern. Wann trifft es uns? Wohin bei Bombenalarm, einer Razzia, Krankheit? Woher die Lebensmittel für den nächsten Tag nehmen? Was machen, wenn uns der Hausmeister oder einer der Hausbewohner verrät? Meine Eltern lebten ununterbrochen in einer Situation höchster Ungewißheit und Todesangst, und das über Jahre. Man konnte nie sicher sein, jeder Schritt, jedes Klingelzeichen, jeder Schatten bedeutete die Gefahr der Entdeckung. Die U-Boot-Existenz bot keinerlei Sicherheit, jede Minute konnte die letzte sein. Es war ein Leben auf Abruf im Wartesaal des Todes.

Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung auf die nationalsozialistische Judenverfolgung mit Gleichgültigkeit und Schweigen reagierte, gab es immer wieder Akte der Humanität. Mein Vater kannte jemanden, der in einer Vernichtungsstelle für Lebensmittelmarken arbeitete, und dieser Mann war zum Beispiel bereit, Marken abzuzweigen und weiterzugeben. Der ständige Kampf um das physische Überleben war immer noch weniger quälend als der psychische Terror. War der Hausbesorger betrunken, so stellte er sich gerne vor das Haustor und schrie, dass er die Saujuden nicht länger beherbergen wolle. Seine Frau zog ihn dann unter Aufbietung aller Kraft in die Hausmeisterwohnung. Wiederholt drohte er, meine Eltern vor die Tür zu setzen oder bei der Polizei anzuzeigen.

Meine Mutter entband auch nicht in der Ferdinandstraße, sondern in der Zirkusgasse. Auch dies war eine Hausmeisterwohnung, ein dunkler, enger, feuchter Kellerraum. Die Leute hatten ein Baby als Enkelkind. Dies diente als Tarnung. Meine Geburt verlief dramatisch. Ich wurde unmittelbar nach der Geburt von meinen Eltern getrennt und lebte etwa vier Monate bei einem Hausbesorgerehepaar in der Zirkusgasse. Die Leute behandelten mich schlecht. Milch und Nahrungsmittel, die mein Vater für mich auftrieb, gaben meine Quartiergeber zum Großteil ihren eigenen Verwandten weiter. Meine Eltern erwogen, mich vor einer Kirche auszusetzen, damit wenigstens ich überleben könnte. Im Dezember 1944 kam ich dann zu einer alleinstehenden Frau, die mich wesentlich besser
behandelte. Auch sie verlangte für die Betreuung eine hohe Bezahlung. Dort blieb ich dann bis zum Kriegsende.

Simon Wiesenthal hat nach dem Tod meiner Eltern folgendes geschrieben: „Für Josef und Sidonie Rubin-Bittmann waren diese Jahre des U-Boot-Daseins nicht nur Jahre höchster Gefahr und äußerster Exponiertheit, sondern auch eine Zeit beispielhafter menschlicher
Bewährung: Denn selbst als Verfolgte, den Tod vor Augen, haben sie anderen Verfolgten geholfen und durch ihre Hilfe das Leben gerettet. Josef Rubin-Bittmann war gleich nach dem Krieg einer der ersten, der geholfen hat, wo er nur konnte. Da kamen Leute aus den Konzentrationslagern, manche krochen aus Verstecken, viele kehrten aus der Emigration zurück. Für sie alle war es ein Beginn in der ,Stunde Null’, manche von ihnen standen auf der Straße und sahen in ihre Wohnungen, in denen noch die Nazis hausten, die sie aus ihrem Heim vertrieben hatten. Josef und Sidonie Rubin-Bittmann handelten aus der Überzeugung, verpflichtet zu sein, ihren überlebenden Leidensgenossen in jeder nur möglichen Weise zu helfen. Es ist mir eine Genugtuung, diese Worte der Anerkennung und der Wertschätzung für die Menschen, die das wirklich verdienen, niederzuschreiben.“

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