Die letzten Zeugen - Das Buc

JEHOSHUA SHMUEL HOFFMANN


 
 


JEHOSHUA SHMUEL HOFFMANN

(früher Siegfried Oskar)
geb. 1921-10-06
lebt heute in Israel

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Im Mai 2008 war Sigi Hoffmann im Projekt »38/08« als »Letzter Zeuge« zu Gast an der Haupt- und Realschule Lassnitzhöhe mit Direktorin Ulrike Lackner. Die Lebensgeschichte wurde von Sigi Hoffmann verfasst.

Sigi (Jehoshua Shmuel) Hoffmann  wird 1921 in Wien-Ottakring geboren. Seine Eltern sind religiös, Sigi Hoffmann lernt in der Synagoge Hebräisch, was ihm später in Israel helfen wird.  Infolge des Anschlusses und der »Kristallnacht« wird Sigi Hoffmann verprügelt und gezwungen, z.B. Straßen mit der Zahnbürste zu putzen. Mit 17 kann er nach Palästina entkommen, seine  Familie folgt später nach. Unzählige Verwandte werden von den Nazis ermordet. Sigi Hoffmann arbeitet in Haifa im »Cafe Werner«, kann sich mit seiner Frau ein neues Leben aufbauen, bekommt zwei Kinder und lebt heute in Israel.

»Ich lebte wie ein gehetztes Tier«

Sigi Hoffmann wurde gedemütigt und geschlagen, ständig in Angst, getötet zu werden. Mit 17 konnte er nach Palästina fliehen.

Ich bin am 6. Oktober 1921 in Ottakring, einem Arbeiterbezirk in Wien, zur Welt gekommen. Ich war das älteste von fünf Kindern. Wir alle wurden dort in einer kleinen Wohnung geboren, wo wir bis zur zwangsweisen Emigration lebten.

Unsere Lage war nicht rosig. Mein Vater wurde im 1. Weltkrieg verletzt und litt seither an der Parkinsonschen Krankheit. Dadurch konnte er nie einen festen Posten annehmen. Unterstützung bekamen wir von einem Bruder meines Vaters, der gut situiert war und keine Kinder hatte. Trotz all dem war meine Kindheit froh und glücklich. Wir liebten einander und waren zufrieden.

Als ich vier Jahre alt geworden war, schickten mich meine Eltern in die Synagogengemeinde, welcher mein Vater angehörte. Dort lernte ich sowohl rituelle Gebete, die Bibel und den Talmud als auch Hebräisch lesen und schreiben, was mir später bei der Einwanderung in das damalige Palästina sehr zugute kam. Meine Eltern waren religiös und haben uns Kinder auch so erzogen.
Meine Mutter lehrte mich auch Deutsch lesen und schreiben, sodass ich, als ich in die Schule kam, ein recht guter Schüler war. Ich absolvierte acht Pflichtschuljahre. Mein Wunsch war es, Jura zu studieren. Ich wusste jedoch, dass sich meine Eltern so ein Studium nicht leisten konnten.

Deshalb trat ich bei einem Konfektionär in die Berufslehre ein, wo ich bis zum 9. November 1938, der »Kristallnacht«, verblieb. Was danach kam, war eine sehr schlimme Zeit. Mit diesem Datum hat sich mein Leben vollkommen verändert. Ich lebte seither wie ein gehetztes Tier – wie so viele meiner Glaubensgenossen – in stetiger Angst von einem Jäger getötet zu werden. Wenn ich in der Früh zur Arbeit ging, solange dies noch möglich war, wusste ich nie, ob ich abends meine Familie noch einmal wiedersehen würde.

Wie oft wurde ich gezwungen, den Gehsteig mit einer Zahnbürste zu waschen oder angeschmierte Schaufenster mit einer Rasierklinge abzukratzen, während ein Nazi mit einem Knüppel bei mir stand und mich prügelte. Zwei Mal war ich auch grundlos von den Nationalsozialisten verhaftet worden, hatte jedoch das Glück, wegen meiner jungen Jahre wieder entlassen zu werden, bevor man einen Transport nach Dachau zusammenstellte.

Bekannterweise hatten die »Jewish Agency« und der »Joint« mit der englischen Regierung ein Abkommen getroffen, dass eine gewisse Anzahl von Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren aus Deutschland – und nach dem Anschluss auch aus Österreich – Zertifikate bekommen sollen, um sich nach Palästina zu retten.

Ich war bereits jahrelang in einem zionistischen Jugendbund aktiv tätig gewesen, und so hatte ich das Glück, einer der Auserwählten zu sein. So habe ich Wien am 2. April 1939 mit einer Gruppe Jugendlicherschweren Herzens verlassen, da ich meine lieben Eltern und Geschwister dort zurücklassen musste.

Noch in Wien wurden wir auf die verschiedenen Orte in Palästina aufgeteilt, wo wir weiter leben sollten. Mich hat das Schicksal in eine Landwirtschaftliche  Mittelschule in Pardess Chana verschlagen, wo ich die nächsten zwei Jahre auf Kosten der »Jewish Agency« verbrachte.Ich musste mich völlig umstellen, Kuhstall, Feldarbeiten, Hühnerstall usw. erlernen, was mir natürlich völlig fremd war. Wir Schüler arbeiteten vormittags und nachmittags hatten wir hebräischen Unterricht in der Mittelschule. Die Schule war ein Internat, sodass der Anfang meines neuen Lebens nicht ganz so schwierig war.

Nach zwei Jahren fast sorglosen Lebens musste ich die Schule verlassen, ohne eine Ahnung zu haben, was denn die Zukunft
bringen würde. Aber wie der Zufall es wollte, hatte ich im Internat einen Mitschüler, dessen Vater, auch ein ehemaliger Wiener, in Haifa ein Restaurant hatte und auf Fürsprache des Erziehers jemanden aus unserer Gruppe anstellen wollte. So kam ich 1941 mit zwei Koffern beladen nach Haifa, wo ich bis 1947 im »Cafe Werner« arbeitete.

Inzwischen kamen tröpfchenweise auch  meine Geschwister hierher nach Palästina, bis auf meinen jüngsten Bruder, der als 11-Jähriger von einer jüdischen Familie aus London »angefordert« wurde.

Meine Eltern konnten  im ersten Kriegsjahr aus Wien flüchten und von Bratislava aus mit weiteren 3500 Juden aus Europa auf der »Schönbrunn« mit noch zwei anderen Schiffen auf illegale Weise nach Palästina gelangen. Sie wurden aber von den Engländern bei der Ankunft verhaftet und für eine Nacht nach Atlit gebracht. Am nächsten Tag wurde die ganze Gruppe nach Mauritius, einer Insel im Indischen Ozean, verbannt. Dort waren sie fünf Jahre lang interniert, bis zum Ende des Weltkrieges, als wir uns wiedersahen.

1947, als die UNO den Teilungsplan für einen jüdischen und einen arabischen Staat ratifizierte, musste ich, wie alle jungen Menschen, auf Anforderung der jüdischen »Behörde« (Hagana) zu militärischen Übungen oder Panzerabwehrgräben graben. Mit der Ausrufung des Staates Israel am 15. Mai 1948 wurde ich eingezogen. Da ich, wie schon erwähnt, Hebräisch lesen, schreiben und sprechen konnte, wurde ich Staatsbeamter. Von diesem Tag an arbeitete ich bis 1962 in einer Abteilung des Finanzministeriums. Im Laufe der Jahre wurde ich zum Abteilungsleiter befördert.

1953, im Monat Mai, lernte ich eine junge nette Dame aus Luzern in der Schweiz kennen, und im Monat August haben wir dann geheiratet. Wir haben zwei Söhne bekommen, Ron 1954 und Eli 1956.

Wir hatten kein leichtes Leben. Mein Einkommen als Regierungsbeamter war nicht groß, und meine Frau konnte, solange die Kinder klein waren, keine Arbeitsstelle annehmen. 1963 habe ich die Regierung verlassen und bin bei der damals größten elektronischen Firma »AMPA« als Salesman eingetreten.

Ich wurde später  Geschäftleiter der Filiale Nord-Israel in Haifa und ging im Jahr 1986 schließlich in Pension. Natürlich machte ich alle Kriege in Israel mit.

Unsere finanzielle Lage hat sich verbessert, die Söhne haben geheiratet und uns sechs Enkel geschenkt, sodass meine Frau und ich ein zufriedenes Leben in Haifa verbringen.

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