Die letzten Zeugen - Das Buc
  • Matthias Hofmarcher, Schüler, triff als Botschafter der Erinnerung im Oktober 2007 die
  • Überlebende Ottie McCrae in London.

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Die Lebensgeschichte von Ottie McCrea

Niedergeschrieben von Matthias Hofmarcher

Ottie McCrea wurde im November des Jahres 1920 geboren. Geboren wurde sie im Rudolfinerhaus, das sich im 19. Wiener Gemeindebezirk befindet und lebte dann mit ihren Eltern in der Billrothstraße 39. Die Volksschule war ein paar Straßen entfernt, das Gymnasium gleich um die Ecke.

Ottie hatte eine schöne Kindheit. Sie wuchs als fröhliches, gut behütetes und fleißiges Kind in Wien auf. Gerne ging sie mit ihrem Vater spazieren und trank mit ihm in einem Cafe Milch bzw. Kaffee. Sie genoss diese Momente sehr, denn ihr Vater war ein wichtiger Mann im Bankenverein am Schottenring. Ihre Schulferien verbrachte Ottie einmal ein paar Tage in Baden, da ihre Großmutter dort immer auf Ferien war. Mit ihren Eltern war sie oft in Bad Fischau, wo sie auch ihr geliebtes Schwimmen erlernte. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade mal fünf Jahre alt. Dort erlebte sie viele spannende Erlebnisse, wie zum Beispiel das Springen von einem Sprungturm oder das Schwimmen in einem der drei großen Schwimmbecken. Außerdem war Ottie mit ihnen am Semmering und an vielen anderen schönen Orten auf Ferien.

Die Freizeit verbrachte Ottie McCrea auch oft am Kobenzlberg oder am Kahlenberg. Sie genoss von dort oben den schönen Rundblick über die Stadt Wien und konnte dort auch gut entspannen. Diese Jahre waren eine Zeit, die Ottie so nicht wieder erleben würde!

Als Österreich von den Deutschen besetzt wurde, änderte sich alles in Otties Leben. Ihr Bruder, sieben Jahre älter als sie, war Wissenschaftler und konnte sein Studium nicht fertig machen, da er Jude war. Er war im letzten Studienjahr. Nach seiner Festnahme wurde er von den Nazis in einer Schule eingesperrt. Es war eine grausame Zeit für ihn und alle anderen Familienmitglieder. Doch zwei nichtjüdische Freunde des Vaters halfen Otties Bruder aus dem Gefängnis zu entkommen. Einer davon war Arzt und er sagte, dass Otties Bruder schwer krank sei und deshalb nicht zur Deportation freigegeben werden konnte. Anschließend wurde er dann ins Spital gebracht. Der andere Freund, der im Naziverbund Mitglied war, sagte einst zu Otties Vater: „Hätte ich gewusst, was das alles für Ausmaße annimmt, wäre ich nie dieser Vereinigung beigetreten!“ Wären die beiden Freunde nicht gewesen, wäre Otties Bruder wahrscheinlich in einem Konzentrationslager umgekommen.

Ottie selbst wurde nach England geschickt. Sie kann sich heute nur mehr wenig an die Reise erinnern. Sie war 18 Jahre alt und wurde deshalb als Dienstmädchen eingesetzt. Sie konnte mit Freunden von ihrer Mutter nach Holland reisen und hatte somit eine sichere Reise. Von Holland nach London musste sie aber dann alleine zurechtkommen und auf sich aufpassen. Die Reise wurde von Otties Mutter organisiert, denn vor der Reise musste man so manches erledigen, wie z.B. das Einbringen einer Zeitungsannonce. Man musste ja schließlich wissen, ob man in England eine Stelle als Dienstmädchen bekommt oder nicht.
In London angekommen wurde Ottie von einer alten Frau abgeholt. Diese alte Frau hatte eine Tochter und einen Sohn in der Armee. Sie lebten in einem großen Haus am Lande und von nun an musste Ottie für den Haushalt sorgen, aber die Familie war sehr nett zu ihr. Der Gedanke daran, ihre Eltern wieder zu sehen, stärkte Ottie sehr, denn anfangs war die Zeit in England sehr schwierig. Ottie konnte bereits vor ihrer Reise nach London Englisch sprechen. Ihre Eltern konnten beide diese Sprache sehr gut und auch sie musste es wegen ihrer amerikanischen Verwandten lernen. 1-2 Briefe schrieb sie durch das Rote Kreuz an ihre Eltern und diese antworteten auch. Heute weiß sie nicht mehr, was mit diesen beiden Briefen geschehen ist. Es war für sie eine große Erleichterung von ihnen zu hören. Doch am 3. September 1939 änderte sich alles. Ottie war gerade dabei das Mittagessen für die Familie herzurichten, als die alte Dame gerade von der Kirche heimkam und sagte, dass der Krieg ausgebrochen sei. Ottie bejahte und anschließend sagte die alte Dame, dass das Butterbrot noch nicht geschmiert sei. Daraufhin antwortete Ottie: „Nein, ich werde das Butterbrot nicht schmieren, ich habe andere Sorgen!“ Von diesem Moment an wusste Ottie McCrea, dass sie ihre Eltern nie wieder sehen würde. Es waren gerade einmal sechs Monate nach der Ankunft in Großbritannien. Und es stimmte, Ottie hat ihre Eltern nie wieder gesehen!

Otties Vater wurde in Prag geboren, ihre Mutter in Wien. Ottie McCrea sieht heute noch immer ihre Eltern am Westbahnhof stehen und ihr zuwinken. Doch leider wurde Otties Vater im Alter von 64 Jahren in Theresienstadt umgebracht. Ihre Mutter kam in Auschwitz ums Leben, gerade bevor die Amerikaner gekommen sind und alle befreit haben. Auch Otties Großmutter, die ein Geschäft neben der Kapuzinerkirche gehabt hat, wurde in Theresienstadt umgebracht.

Als ihr Bruder endlich aus dem Gefängnis entkommen ist, durfte er nur mehr vier Tage in Wien bleiben. Danach ist er mit ihrem einzigen Cousin nach Amerika und schließlich in Alabama gelandet. Im Jahre 1942 erlebte sie einen weitern Schicksalsschlag. Ottie wäre eigentlich in diesem Jahre nach New York gefahren, doch leider hat sie das letzte Schiff verpasst. Hätte sie dieses Schiff zur richtigen Zeit erreicht, wäre sie heute Amerikanerin. Ottie mag Amerika sehr gerne! Leider ergab sich später nie wieder die Möglichkeit nach Amerika zu ziehen, da sie bereits ihre Kinder hatte. Erst 28 Jahre später trafen sich Ottie und ihr Bruder in Amerika, zehn Jahre bevor er an Krebs starb. Er wurde 63 Jahre alt. Ottie beschrieb das Treffen als wunderschön und so, als ob sie sich vor zwei Wochen erst gesehen hätten. Es war traumhaft! Ärzte sagten, dass er in Folge von Mangelerscheinungen in der Gefangenschaft in Wien gestorben ist.

Doch als ob Otties Leben nicht schon genug erlitten hat. Ottie war Krankenpflegerin und arbeitete in einem riesigen Spital. Eines Abends war sie in einem Zimmer und versorgte eine Patientin. Plötzlich schlug eine große Bombe, nicht weit von Ottie entfernt, ein. Wäre diese Bombe auf harten Untergrund gefallen, wären wahrscheinlich alle in der Umgebung ums Leben gekommen. Alle Fenster wurden zerschlagen, viele Kranke wurden verletzt, … Es war furchtbar!

Ottie McCrea hatte hier in London noch ein wenig Kontakt zu Freunden aus Wien. So wurde sie einst von ihrer ehemaligen Lehrerin und einer Freundin in London besucht. Auch traf sie mit Zufall eine alte Freundin hier in London. Eines Tages als Ottie in einen Bus einstieg, sah sie ein bekanntes Gesicht. Sie sagte laut ihren Namen und die jenige Frau blickte auf. Es war eine Freundin aus ihrem Gymnasium, die sie mehr als 25 Jahre nicht gesehen hatte. Von nun an hatten sie wieder regelmäßigen Kontakt. Diese Freundin ist leider vor zwei Jahren gestorben. Eine andere Freundin, die auch hier in London einst als Dienstmädchen arbeitete, verstarb vor 18 Monaten. Mit dieser ging Ottie im Alter von ca. 5 Jahren in die Volksschule.

Ottie hatte auch eine ganz besondere Freundin, die sie nach dem Krieg in England kennen lernte. Nämlich eine, die älter war als sie und die den Schriftsteller Franz Kafka als Freund hatte. Diese Freundin hat Kafka fast geheiratet und hat über ihn sogar ein Buch verfasst, mit dem Titel „Last Love“. Kafka wurde aber sehr krank und deshalb war es ihnen nicht möglich zu heiraten. Die beiden zogen schließlich auch zusammen und verbrachten eine schöne Zeit miteinander. „Sie war eine entzückende Dame!“, so Ottie.

Heute lebt Ottie McCrea in einem schönen Haus am Rande von London. Sie lebt seit 1982 dort. Eine ihrer Töchter wohnt nur zehn Autominuten entfernt.
Ottie hat mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann, der Schotte war, zwei Töchter und drei Enkelkinder. Diese sind 26, 28, und 35 Jahre alt.
Ottie spricht immer noch perfekt Deutsch, obwohl sie jahrelang kein Deutsch gehört und gesprochen hatte. Durch ihre Tochter, die einen Sprachkurs belegte, und durch ihre Freunde aus Österreich verlernte sie die Sprache jedoch nicht.

Ottie möchte heute nie wieder nach Wien zurück. Sie kann nicht verzeihen, was Österreich ihr und ihrer Familie angetan hat. Trotzdem hat sie viele wunderschöne Erinnerungen an dieses Land. Immerhin ist es ihr Geburtsland, aus dem sie in jungen Jahren weggeschickt worden war. Aus einem Land, das einmal ihr zu Hause war!

Erfahrungsgeschichte der Londonreise

- Vieles sehe ich jetzt mit anderen Augen … -


Ich habe wirklich so viele schöne, sowie auch viele nachdenkliche Momente in London erlebt. Als ich am Mittwoch, dem 24. Oktober 2007 mit dem Flugzeug von Salzburg nach London abhob, dachte ich mir, ich werde nicht mehr so zurückkommen wie ich zu diesem Zeitpunkt war. Die ganze Gruppe wird so viele neue Erfahrungen machen und viele verschiedene Leute kennen lernen, all das würde mich und alle anderen wahrscheinlich verändern - und so war es auch. Wir kamen als nachdenkliche, berührte Gruppe zurück.
Gleich zu Beginn unserer Begegnungsreise besuchten wir eines der bekanntesten Museen in London, das Imperial War Museum. Eine Ausstellung, die heute noch in meinen Gedanken ist und die einen bleibenden Eindruck hinterließ. Bilder, Videos und Gegenstände machten das Thema sehr realistisch und man konnte sehr viel daraus lernen. Nicht nur durch den Vortrag im Vorhinein, nein, sondern alleine durch die eigenen Eindrücke wurde einem das Thema viel näher gebracht. Es war ein wirklich interessanter Start in eine Woche, die so einiges in mir bewirkte!
Am nächsten Tag waren wir zu Gast im Jewish Cultural Center und in der Belsize Square Synagogue. Im Jewish Cultural Center hatten wir die einmalige Gelegenheit, einem Vortrag von Bertha Leverton über den Kindertransport im zweiten Weltkrieg zu lauschen. Sie ist eine bewundernswerte Frau, die großes geleistet hat. Nach diesem Vortrag saßen wir alle gemeinsam mit ihr in einem Raum und konnten ihr Fragen zu ihrem Leben stellen. Am Abend waren wir in einer Synagoge eingeladen. Es war irrsinnig schön, Teil dieser Sabbathfeier zu sein. Außerdem traf ich zum ersten Mal meine Überlebende Josephine Dutch. Es war ein schönes Gefühl, neben ihr zu sitzen und dem Gesang zuzuhören. Man hatte ein Gefühl der Geborgenheit. Es war ein einmaliges Erlebnis, das nicht zu beschreiben ist. Das erste Mal in einer Synagoge, mein erstes Treffen mit einer jüdischen Überlebenden. Es war einer der schönsten Momente dieser Woche. Am nächsten Tag trafen Conny, eine Reporterin vom Ö1, und ich Ottie McCrea, auch einen Überlebende, die ich besuchten durfte. Es war Nachmittag, fast schon etwas dunkel und es regnete leicht. Ich kann mich an alles so genau erinnern. Wie gespannt ich war, bevor ich sie kennen lernen durfte, wie die Fahrt zu ihrem Haus war, wie die Häuser aussehen in der Siedlung in der Ottie wohnt, … Alles sehe ich nun vor meinem Auge. Als wir mit dem Auto vor ihrem Haus anhielten, stand sie bereits vor der Haustüre und wartete gespannt auf uns. Sie begrüßte uns herzlich und begleitete uns in ihr gemütliches Wohnzimmer. Ich wusste nicht, wie ich mich gegenüber ihr verhalten sollte, doch alle meine Nervosität war umsonst. Ihre liebenswürdige Art war so herzlich, dass ich das Gefühl hatte, ich sprach mit einer langjährigen Freundin. Ich freute mich auch besonders, wie gut ihr mein Paket der Erinnerung gefiel. Sie hatte wirklich große Freude damit! Das schöne daran ist, dass man jemanden mit Kleinigkeiten eine solche Freude bereiten kann. Danke, dass ich Ottie McCrea besuchen und dass ich ihr eine Freude bereiten konnte. Es bedeutet mir so viel, jemandem das Gefühl zu geben, dass er nicht vergessen wird! Danke!

Auch beim Besuch von Josephine Dutch war ich sehr berührt. Dadurch ich sie ja bereits in der Synagoge das erste Mal getroffen habe, war für mich die Begegnung anders als bei Ottie McCrea. Wir kannten uns bereits, das war eine komplett unterschiedliche Situation wie ich sie bei Ottie erlebt habe. Mrs. Dutch ist wie Mrs. McCrea eine so starke, offene Frau. Ihre Lebensgeschichten sind tragisch, doch selbst sehen sie ihre Geschichte als nicht schlimm. Sie sagen oft, dass Geschichten anderer Überlebender viel schrecklicher sind. Das zeigt Menschen, die eine innere Stärke haben, die wahrscheinlich keiner von uns hat. Menschen, die trotz ihrer Vergangenheit nach vorne blicken und die glücklich mit ihren Familien in England leben! Menschen, vor denen ich Respekt habe! Die Begegnung mit Josephine Dutch war wunderschön, für die ich mich bedanken möchte! Ich werde sie nie vergessen!

Am letzten Tag in London trafen wir alle Überlebenden nochmals in der österreichischen Botschaft. Was dort passiert ist, bringt mich immer noch fast zum Weinen. Jung und Alt saßen an den runden Tischen im Empfangssaal. Alle redeten miteinander und wir konnten nochmals alle eine wunderschöne Zeit miteinander verbringen. Als dann der berührende Projektfilm über "A letter to the stars" gezeigt wurde, stand eine Frau auf und sagte: "Ich hätte nicht geglaubt, dass Österreich so etwas noch machen würde!" Sie sagte es zu einem Zeitpunkt, als es ganz leise im Raum war. Es war ein Moment der Stille. Jeder dachte sich wahrscheinlich das gleiche. Wir sind es, die die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten lassen dürfen. Wir können es besser machen und uns für das entschuldigen, dass den Menschen früher zugestoßen ist. Es bleibt immer ein Teil unserer Vergangenheit, doch daraus lernen können wir alle! So etwas darf nicht noch einmal passieren, es darf nicht vergessen werden!

Ich möchte mich ganz herzlich bei dem Projektteam von "A letter to the stars" bedanken! Die vielen schönen Erlebnisse, die wir alle gemeinsam erlebt haben, die Abende, an denen wir gemeinsam gelacht und geweint haben, die Zeit, in der wir London und uns besser kennen gelernt haben. Diese Momente möchte ich nicht mehr missen! Mich hat diese Reise verändert und mir wurden die Augen geöffnet! Es war eine einzigartige Reise! Danke, dass ich Teil davon sein durfte!