Die letzten Zeugen - Das Buc
  • Katrin Muckenhammer, Schülerin, hat als Botschafterin der Erinnerung im Oktober 2007 die
  • Überlebende Hertha Lowy in London getroffen.
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Die Lebensgeschichte von Hertha Lowy

Niedergeschrieben von Kathrin Muckenhammer

Frau Hertha Lowy wurde am 17.02.1921 in Wien geboren. Sie wuchs als behütetes, verwöhntes Kind jüdischer Eltern im 3. Wiener Bezirk auf. Dort besuchte sie auch die Volkschule und später des Maria-Hilfer-Mädchengymnasium mit ausgezeichneten Schulerfolgen. Später wollte sie studieren und Rechtsanwältin werden.

Als im März 1938 Hitler in Österreich einmarschierte endete jäh ihre unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit. Als Jüdin durfte sie die Schule nicht mehr besuchen und auch sonst wurde der Lebensraum für Juden eingeschränkt.
Als sich die Situation für Juden zuspitzte, beschlossen Fr. Lowys Eltern mit ihren Töchtern nach Prag auszuwandern. Für die junge Hertha war das unvorstellbar. War sie doch unsterblich in Alex, der ebenfalls Jude war, verliebt. Als der Tag der Abreise kam, hinterließen sie die Wohnung, als würden sie nur kurz weg sein. Das hieß sie mussten all ihr Eigentum zurücklassen. An der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei trennte sich Hertha von ihrer Familie. Sie konnte ihre Jugendliebe nicht allein zurücklassen. Sie kehrte zurück nach Wien und wohnte bei ihrer Tante.

Mit Alex beschloss sie nach England auszuwandern. Doch ca. 3 – 4 Wochen nach der Flucht der Eltern, wurde Sie von einer SS-Mitarbeiterin aufgesucht und verhaftet. Sie durfte lediglich einen kleinen Koffer mit Habseligkeiten mitnehmen. Für sie waren ihre Tagebücher das Wichtigste und so packte Hertha diese in ein kleines Köfferchen. Hertha war verzweifelt, hatte sie doch die Flucht mit Alex über Polen geplant. Im Zug eröffnete ihr plötzlich die SS-Dame, dass sie von Herthas Vater geschickt wurde um das Mädchen mit ihrer Familie zu vereinen. Hertha war bitterböse auf ihren Vater, wusste sie doch damals noch nicht, dass ihr gemeinsamer Fluchtplan mit Alex, die beiden in den sicheren Tod geführt hätte.

Während der Zeit in Prag wollte sich Hertha ohne das Wissen ihrer Eltern die Ausreisegenehmigung nach England beschaffen. Dafür benötigte sie die Erlaubnis der Gestapo. Also machte sie sich auf den Weg in deren Büro. Dort gab es zwei Schalter für Ausreisegenehmigungen. Je einen für Juden und einen für Nichtjuden. Am Schalter für Juden war die Warteschlange sehr sehr lang. Mehrere Tage hintereinander musste Hertha unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Nach ca. einer Woche entschloss sie sich, sich einfach bei den Nichtjuden anzustellen. Als sie an der Reihe war, wusste sie nicht recht, wie sie erklären sollte, warum sie am falschen Schalter stand. Also legte sie einfach ihren offenen Reisepass mit dem roten „J“, welches darauf hinwies, dass der Passinhaber Jude ist, dem jungen Beamten vor. Dieser wies darauf hin, dass sie am falschen Schalter stand. Mit ihrem jugendlichem Wiener Charme, erklärte Hertha ihre Situation. Der junge Beamte behielt den Pass ein und forderte sie auf, diesen nach einer Woche wieder abzuholen. Mit einem unguten Gefühl, weil sie doch nun ohne Pass war, verließ sie das Büro.

Als sich Hertha nach einer Woche den Pass wieder abholte, hatte sie doch wirklich die Ausreisegenehmigung erhalten.
Als sie ihre Eltern von der geplanten Ausreise nach England informierte, waren diese überzeugt, dass dies nicht möglich sei, weil Hertha doch keine Ausreisegenehmigung bekommen würde. Da legte sie Ihnen den Pass mit dem Ausreisevermerk vor.
Die Mutter war verzweifelt. Da sich Hertha von ihrem Plan nicht abbringen ließ, legte der Vater eine genaue Reiseroute fest. In Deutschland war das Treffen mit Alex geplant.
Leider kam es dazu nicht, weil Hertha den Umsteigebahnhof versäumte. Als sie den Irrtum bemerkte, verließ sie an der nächsten Haltestelle den Zug. Einsam und verzweifelt stand sie nun an dem fremden Bahnhof. Als sie endlich einen Menschen traf, war dieser ein SS-Mitarbeiter. Er beschimpfte und bespuckte sie und wies sie auf ein Schild mit der Aufschrift „Betreten für Hunde und Juden verboten!!“ hin. Während der Diskussion trat ein weiterer SS-Mitarbeiter auf sie zu und forderte sie zum Mitkommen auf. Mit seiner Hilfe schaffte es Hertha, den Anschluss nach London zu finden.
Da sie jedoch verspätet in London eintraf, war dort niemand der sie empfing. Das bisschen Geld, das sie bei sich hatte, verlor sie, als man es ihr wechseln wollte.
Ohne Geld, ohne Unterkunft und ohne Job stand Hertha nun in London. Obwohl sie keine Erfahrung mit Kindern oder in der Haushaltsführung hatte, wurde sie von einer Londoner Familie aus Hausmädchen aufgenommen. Auf die verschiedenen Fragen im Vorstellungsgespräch antwortete sie einfach „I’m willing“. Sie hatte es dort sehr schwer und nur eine kleine Kammer ohne Licht zur Verfügung. Baden durfte sie nur im Wasser, in dem vorher bereits die Kinder der Familie gebadet hatten. Monatelang hatte sie keinen freien Tag.
Als Hertha zum ersten Mal mit der U-Bahn ins Stadtzentrum fuhr, bekam sie plötzlich Selbstmitleid und begann bitterlich zu weinen. Da wurde sie von einem Mann angesprochen, dem sie ihr ganzes Leid klagte. Der Richter hatte in Wien studiert. Es nahm sie mit nach Hause und stellte das Mädchen seiner Frau Molly vor. Man bot ihr ein Heim an.
Bereits eine Woche später zog Hertha in das Haus des Richters ein. Doch leider ging das nicht lange gut. Der Richter und Hertha machten einen großen Fehler, sie sprachen Deutsch miteinander. Molly fühlte sich dadurch ausgeschlossen und wurde grundlos eifersüchtig. So musste sich Hertha wieder auf Arbeitssuche begeben.

Sie fand Arbeit in einer Gürtelfabrik. Dort musste Sie Löcher in die Gürtel stanzen. Da sie dabei nicht sehr geschickt war, musste sie eines Tages zu ihrem Vorgesetzten, der ihr anbot als Sekretärin für ihn zu arbeiten. Da Hertha keinerlei Sekretariatserfahrung hatte, wurde sie sofort auf die Zweideutigkeit aufmerksam und lehnte ab. Mit Hilfe einer Kollegin, welche gleichzeitig ihr beste Freundin wurde, schaffte sie die Arbeit doch noch. Die beiden Mädels mieteten gemeinsam eine Wohnung und teilten Geld und Hausarbeit.
Später fand Hertha einen lieben Mann und bekam zwei Kinder mit ihm.

Ihre Jugendliebe Alex wollte sie nach dem Krieg in Wien treffen. Leider kam es dazu nicht mehr, da Alex, welcher nach Israel ausgewandert war, in Wien von einem LKW überrollt und getötet wurde.
Auch mit ihren Eltern und ihrer Schwester gab es kein Wiedersehen. Wie wurden in einem KZ getötet.

Erfahrungsbericht


Es war ein unglaubliches Erlebnis in diesem Projekt mit zu wirken, da man vorerst "nur" von Überlebenden, die nicht auswandern mussten, das erzählt bekam was diese Menschen durchmachen mussten. Es ist alles schrecklich, doch wenn man die Lebensgeschichte von Holocaust- Überlebenden hört, ist es noch unfassbarer.

Als ich meine Überlebende Frau Hertha Lowy treffen durfte, war ich sehr aufgeregt. Noch dazu kam, dass wir eine falsche Adresse bekamen und so im anderen Stadtviertel landeten. Als Judith und ich dann von der Tür standen konnte ich es erst nicht fassen, das ich eine Holocaust- Überlebende treffen durfte. Als jedoch die gut gerüstete Frau sah, viel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Meinen Nervosität war wie im Flug vergangen. Hertha Lowy erzählte aus ihrer Jugend und wie sie nach London kam. Es war sehr interessant. Erst nach dem Gespräch wurde mir klar, was es heißt, wenn man die Heimat verlassen muss.

Flucht vor den Nazis: Von der Scham, Wien zu lieben

31.01.2008 | 18:37 | JUDITH LECHER (Die Presse)

Hertha Lowy musste als Sechzehnjährige vor den Nazis nach London fliehen. Der österreichischen Schülerin Katrin Muckenhammer erzählt sie von ihrem Schicksal.

London/WIEN. „Das ist mein Schnitzerl, ist sie nicht entzückend?“ Stolz zeigt Hertha Lowy die Bilder von einem ihrer Enkelkinder. „Ich nenn sie Schnitzerl, weil das ihre Lieblingsspeise ist“, erzählt die 86-Jährige aufgekratzt und zeigt weitere Fotos von ihrer Tochter Evy und ihrem Sohn Peter. „Ich erinnere mich, als ich mit 16 Jahren nach London gekommen bin: ich war ganz alleine. Jetzt habe ich eine große Familie. Wir sind uns alle sehr nahe.“

Vieles in der Wohnung im Londoner Suisse-Cottage-Viertel erinnert an Österreich: die Lade voller Knorr- und Maggi-Packerlsuppen, der „Paprika edelsüß“ von Kotànyi. „Und meine Schwiegertochter ist eine echte Wienerin“, erzählt sie lächelnd, während sie Katrin Muckenhammer von einem Raum zum nächsten führt.

Die 15-Jährige ist eine von zwölf Schülerinnen und Schülern, die als „Botschafter der Erinnerung“ durch das Projekt „Letter to the Stars“ nach London gekommen sind, um hier die Lebensgeschichten österreichischer Holocaust-Überlebender zu dokumentieren.

Hertha Lowy kramt ihre alten Schulzeugnisse hervor. „Sehr gut“ steht da in fast jeder Zeile in verblasster Schrift. Sie zeigt die Pokale, die sie beim Bridge-Spielen gewonnen hat. Sie spiele immer noch regelmäßig, erzählt sie. Dann wird ihre Stimme ganz leise. „Das ist das letzte Foto, das ich von meinem Papa hab.“ Es ist ein Standbild aus einem Schwarz-Weiß-Film, einer Dokumentation über ein Konzentrationslager, in dem ihr Vater umgebracht worden ist. Auch ihre Mutter und ihre Schwester sind durch das Nazi-Regime ums Leben gekommen.

Nur Hertha Lowy ist die Flucht geglückt. Alleine hat sie sich als Sechzehnjährige nach London durchgeschlagen. Dabei, schildert sie, hielt sie Hitlers Invasion zunächst „nur für einen schlechten Scherz“. Der Anschluss an Hitler-Deutschland, die darauf folgenden Einschränkungen im täglichen Leben der jüdischen Bevölkerung – all das war für sie damals nicht so wichtig wie ihre große Liebe. „Meinen Peter“, nennt sie ihren damaligen Freund heute noch im schwärmerischen Tonfall.

„Mir war damals nicht bewusst, wie gefährlich die Situation war“, erzählt Hertha Lowy. So wenig sogar, dass sie sich dazu hinreißen ließ, Hitler bei seinem Einmarsch in Wien zuzujubeln. „Ich bin in der Menge gestanden und hab mitgeschrien.“ Sie schüttelt ungläubig den Kopf. Die Familie sah damals Hitlers Einzug nicht als Bedrohung. „Mein Vater hat gesagt: ,Uns kann nichts passieren, wir sind Wiener. Ich habe im Ersten Weltkrieg gekämpft‘“, dann habe er stolz seine Tapferkeitsmedaille von damals hervorgeholt.

Visum von einem Fremden

So war es auch weniger die Angst um ihr Leben als jugendliche Dreistigkeit, wegen derer sie sich 1937 ein Visum für Großbritannien besorgte. Schließlich wollte sie gemeinsam mit ihrem Freund Peter emigrieren. Lowy suchte also aus dem Telefonbuch die Adresse eines Herren mit dem selben Familiennamen heraus. Sie schrieb ihm einen Brief mit der Anrede „Lieber Onkel“, wies auf die politische Situation hin und bat ihn darum, ihr ein Visum zu besorgen. „Ich war damals ganz schön frech“, sagt sie.

Und tatsächlich: Herr Lowy aus Großbritannien schickte der ihm Unbekannten ein „Permit“. Ihre Eltern wussten von all dem nichts.

Die Situation in Wien wurde für die jüdische Bevölkerung unterdessen immer unerträglicher. „Noch immer sehe ich meinen armen Papa die Pflastersteine mit einer Zahnbürste reinigen“, erinnert sich Hertha Lowy. Die Eltern arrangierten die Flucht der Familie in die Tschechoslowakei. Doch an der Grenze lief Hertha weg, zurück nach Wien, zu Peter.

Frechheit als Lebensretter

Ein Mitglied der NS-Frauenschaft brachte sie auf Ersuchen des Vaters zur Familie nach Prag. In ihren kleinen Koffer packte sie nichts außer all den seit ihrem dreizehnten Lebensjahr verfassten Tagebüchern. „Keine Schuhe, keine Socken. So war ich damals.“

In Prag war Hertha Lowy „todunglücklich, ohne meinen Peter“. Als die NSDAP 1938 das tschechoslowakische Sudetengebiet annektierte, beschloss sie deshalb, sich auch den für die Ausreise benötigten Passierschein von der Gestapo zu besorgen.

Während die Warteschlange der „Arier“ vor dem Amt täglich kürzer wurde, wurde jene der Juden nur noch länger. „Und da hab ich mir gedacht: Ich stell mich einfach bei den ,Nicht-Juden‘ an“, erzählt Hertha Lowy. Ihre Frechheit und ihr Mut siegten auch in diesem Fall: Trotz des großen roten „J“, mit dem damals die Pässe von Juden gekennzeichnet wurden, erhielt sie einen Passierschein.

Obwohl ihre besorgte Mutter sie davon abzubringen versuchte, setzte sich Hertha Lowy in den Zug nach Deutschland, wo sie ihren Freund treffen sollte. „Meine Mutter ist ohnmächtig auf dem Boden zusammengebrochen, während der Zug aus der Station gefahren ist. Damals hab ich meine Familie zum letzten Mal gesehen.“ Mutter, Vater und Schwester wurden ins Konzentrationslager deportiert. Was das bedeutete, war Hertha Lowy damals nicht bewusst. „Von den Gaskammern wussten wir damals nichts, das kam erst nach Kriegsende heraus.“

Auch ihre Jugendliebe Peter hat Hertha Lowy nie wieder gesehen. Ein viele Jahre später geplantes Treffen kam doch nicht zu Stande – Peter war unmittelbar davor bei einem Autounfall gestorben.

„Diese Frau ist unglaublich“, platzt es aus Katrin Muckenhammer heraus, nachdem sie sich von Hertha Lowy verabschiedet hat. „Sie strahlt so viel Lebensfreude aus, ich war ganz umsonst so nervös vor dem Treffen.“

Wenig später erreicht ein Brief von Hertha Lowy das Büro von „Letter to the Stars“ in Wien, in dem sie sich für Katrin Muckenhammers Besuch bedankt: „Ich spüre, dass ein neues Österreich erwacht, dass ich wieder stolz sein darf, Wienerin zu sein. (English oder nicht – ich bin immer Wienerin geblieben). Oft habe ich mich geschämt in den vergangenen Jahren, so viel Sehnsucht nach Wien zu haben. Heute darf ich es!“

www.lettertothestars.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2008)