|
Alle Berichte:
1
2
Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Robert Singer wird 1928 in Wien geboren. Er lebt mit seinen Eltern und seinem Bruder in der Zirkusgasse 39. Nach dem Anschluss und der »Kristallnacht« erlebt Robert Singer als Kind die Demütigungen, Verfolgung und Deportation. Er selbst wird zunächst nach Theresienstadt verschickt, kommt dann ins KZ Auschwitz, nach Dachau und auf den Todesmarsch. Sein Bruder wird auf dem »Kladovo«-Transport erschossen, seine Eltern im KZ ermordet. Seit 1946 lebt Robert Singer in Israel, wohin er illegal einwandern musste.
Im April 2008 war Christoph M. im Projekt »Botschafter der Erinnerung« zu Gast bei Robert Singer in Israel. Die hier abgedruckte Lebensgeschichte hat Robert Singer handschriftlich verfasst.
Ich bin am 15. Mai 1928 in Wien geboren. Mein Vater Kurt und meine Mutter Rosa Singer wohnten in der Zirkusgasse 39/23. Mein Bruder Friedrich war sechs Jahre älter. Mein Vater war Beamter, meine Mutter Hausfrau. Unsere Fenster waren gegenüber vom Renz-Gebäude, und wenn ein Zirkus gastierte, ist es immer lustig zugegangen. Ich erinnere mich an Zirkus Krone, Sarassani, Hagenbeck und so weiter. Mein Kindergarten war im Augarten, im rückwärtigen Teil vom Augarten-Palais. Meine Schule war in der Blumauergasse 23, nahe unserer Wohnung. Meine Spielplätze waren der Prater und die Hauptallee. Bis zum Anschluss hatte ich eine glückliche und frohe Kindheit.
Im März 1938 begann eine grausame Zeit. Menschen wurden in den Straßen Wiens gezwungen, die Pflastersteine zu waschen, wurden misshandelt und geschlagen. Ich sah als Zehnjähriger dem Treiben dieses Pöbels zu. Nach einigen Wochen des Naziregimes wurden wir jüdische Kinder in der Schule auf die hinteren Bänke verwiesen. Mein Vater, welcher Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen war, wurde grundlos entlassen. Alle paar Tage wurden neue Gesetze veröffentlicht, zum Beispiel mussten Fotoapparate, Fahrräder, Ski, optische Geräte usw. abgegeben werden, ansonsten gab es schwere Strafen.
Nach den Ferien wurden wir in den Schulen der Israelitischen Kultusgemeinde unterrichtet, was sehr zu unserem Vorteil war, da die Lehrer zum größten Teil Universitätsabsolventen waren, welche vom Staatsdienst entlassen wurden, und das Lehrniveau so sehr hoch war.
Am 9. November, in der sogenannten Kristallnacht, wurden sämtliche Synagogen in Wien vernichtet, unzählige Geschäfte geplündert, tausende Menschen grundlos verhaftet. Da meine Großeltern väterlicherseits in der Tivoligasse in Wien-Meidling lebten, wo es ruhig war, haben mein Vater und mein Bruder bei ihnen Unterkunft gefunden und diese Tage überlebt. Ende 1938 mussten wir unsere Wohnung verlassen und in einem Zimmer Untermieter sein.
Als mein Bruder von einem Nazi angepöbelt wurde und diesem Nazi das Nasenbein brach, wurde er verhaftet und kam ins Polizeigefängnis Rossauerlände. Es waren furchtbare Wochen, da meine Eltern nicht wussten, ob er in ein KZ deportiert wird. Meine Eltern konnten mit viel Mühe erreichen, dass er einen Platz auf einem Transport nach Palästina erhielt. Aufgrund der Einreihung im Transport wurde er entlassen. Mit der Bahn und einem Donauschiff gelangte der Transport nach Jugoslawien, blieb aber aus verschiedenen Umständen dort stecken. Nach der Invasion und Eroberung von Jugoslawien wurde mein Bruder mit 800 weiteren Transportteilnehmern erschossen.
Ich als 11- bis 12-Jähriger sah die Welt anders, nicht mit den Augen der Erwachsenen. Mit einigen Kameraden besuchten wir ohne Wissen unserer Eltern das Stadion im Prater, und bei den Gedenkminuten an gefallene Soldaten während der Spiele grüßten wir, so wie alle, mit dem Hitlergruß. Wir gingen öfters zum Bootfahren auf die Alte Donau. In unzähligen Grünanlagen in Wien schmierten die Nazis »Nur für Arier« auf die Bänke. Bei vielen Lokalen hingen Tafeln »Für Juden und Hunde Eintritt verboten«, das war sehr beleidigend. In den Geschäften in Wien waren die Einkaufsstunden für Juden nur von elf bis drei Uhr nachmittags. Auf den Rationierungskarten war ein »J« aufgedruckt und viele Artikel wurden nicht an Juden verkauft.
Die Israelitische Kultusgemeinde errichtete eine Küche in der »Große Pfarrgasse«, wo zu Mittag Mahlzeiten verteilt wurden. Meine Mutter war dort als Köchin angestellt. Als in der Sperl-Volksschule ein Sammellager für die zum Transport bestimmten Menschen errichtet wurde, versorgte diese Küche das Lager mit Mahlzeiten. Die Menschen wurden dazu aus ihren Wohnungen ausgehoben und binnen zwei Stunden mit etwas Gepäck in die Sperlgasse überführt. Die Wohnungen wurden versiegelt und danach ausgeräumt. Durch den Arbeitsplatz meiner Mutter waren wir einstweilen von der Deportation befreit. Sobald die Sperlschule voll belegt war, wurden die Deportierten auf offenen Lastwägen durch die Straßen Wiens zum Aspern-Bahnhof transportiert, um von dort in Viehwaggons nach dem Osten deportiert zu werden.
Als der Judenstern verordnet wurde, änderte sich mein Leben. Wir wurden auf der Straße angepöbelt und auch misshandelt. Um uns Jugendliche von der Straße zu entfernen, fuhren wir mit der Tram Nr. 71 zum Zentralfriedhof, 4. Tor, wo ein großes Feld war und Gemüse angebaut wurde. Wir wurden in der Gärtnerei beschäftigt. Jedoch, als 12- bis 13-Jährige spielten wir dort auch Fußball und plünderten zu dessen Verdruss die Erdbeeren des Obergärtners. Im Winter, bei starken Schneefällen, meldeten wir uns zum Schneeschaufeln und erhielten durch die Gemeinde Wien für acht Stunden Arbeit 5 Mark und 30 Pfennig bar bezahlt, für jeden Tag der Beschäftigung.
Ich war sehr stolz über meinen ersten Verdienst. Wir wurden gewarnt, wenig auf den Straßen zu sein, und konnten auch nicht mehr wie früher an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Als der Schulbesuch schließlich gänzlich untersagt wurde, verbrachte ich tagsüber in der Küche, in welcher meine Mutter beschäftigt war. Ich lernte privat mit einer Lehrerin in einer Ecke des Speiseraums täglich ein bis zwei Stunden. Als Ende 1942 nur noch sehr wenig Juden in Wien waren, wurden meine Eltern und ich angewiesen, uns in einer Schule in der Malzgasse einzufinden, um am 1. Oktober nach Theresienstadt deportiert zu werden. Ich muss anführen, in Personenwaggons und nicht in Viehwagen, vom Aspern-Bahnhof.
Wir kamen am nächsten Tag in Bauschowitz an, sind auf einem Feld ausgestiegen und wurden von der tschechischen Gendarmerie drei Kilometer zu Fuß nach Theresienstadt eskortiert. Theresienstadt, ungefähr eine Stunde von Prag entfernt, eine frühere Garnisonsstadt mit großen Kasernen, umschlossen von roten Ziegelmauern. Es machte einen deprimierenden Eindruck, in den Straßen, welche menschenleer waren – in einer Geisterstadt zu sein. Bei jedem Transport wurden die Straßen gesperrt. Ursprünglich hatte Theresienstadt 7.000 Einwohner, nun wurden über 55.000 Menschen unter katastrophalen Wohnbedingungen eingepfercht. Meine Mutter wurde in ein Zimmer mit noch elf Frauen eingewiesen. Sie schliefen auf Matratzen, welche bei Tag zu Sitzgelegenheit wurden. Das wenige Gepäck diente als Polster. Mein Vater wurde in die Hannover-Kaserne eingewiesen und schlief auf einer Holzetage, welche zu Hunderten in einem Saal aufgebaut waren. Ich wurde ins Jugendheim L 218 eingewiesen, mit noch 12 Wiener Jugendlichen im Zimmer, schlief auch ich auf Holzetagen. Zur Arbeit wurde ich durch die Jugendhundertschaft eingeteilt.
Als Straßenkehrer, beim Teeren von Dächern, in einem Heilmittellager, auch für sechs Wochen in der Bäckerei, dort bekamen wir für jede Schicht 1/3 Brot Prämie. Nach einiger Zeit wurde ich Tischler bei der Gebäudeverwaltung der Dresdner Kaserne. Ein Filmregisseur aus Prag, Arnold Reiman, erhielt den Auftrag, auf dem Dresdner Dachboden eine Bühne aufzubauen. Er ersuchte mich, ihm behilflich zu sein. Ich wurde zur Freizeitstallung beordert und arbeitete mit ihm. Wir bauten die Bühne und ich machte aus Brettern ohne Rückenlehnen nummerierte Sitzreihen. Auf der Bühne wurden deutschsprachige Vorstellungen gegeben. Zum Beispiel »Die Fledermaus«, »Spiel im Schloss« von Molnar u.s.w. Wir bekamen ein Klavier auf Holzklötzen, und da in Theresienstadt Schauspieler mit Weltruf interniert waren, standen die Vorstellungen trotz der primitiven Ausstattung auf hohem Niveau und Hunderte Menschen vergaßen für zwei Stunden das Elend, das Leiden und den Hunger.
Im September 1944 wurde ich zu einem angeblichen Arbeitstransport eingereiht, jedoch kamen wir in Auschwitz an. Das war der Eingang zur Hölle auf Erden. Wir wurden nummeriert und wie Vieh mit Stockhieben herumgetrieben. Von Auschwitz wurde ich schließlich nach Landsberg am Lech in ein Zweiglager des KZ Dachau überwiesen, um Zwangsarbeit zu leisten. Zuerst im Lager 7 und später im Lager 11. Wir mussten schwere Bauarbeiten leisten, schliefen in feuchten Erdhütten, waren verlaust und immer hungrig. Im April 1945, als die Amerikaner das Baugebiet bombardierten, wurden wir zu Fuß von Landsberg nach Dachau getrieben. Beim Einmarsch ins KZ Dachau standen Waggons mit Hunderten Menschenleichen herum und wir verstanden, was uns erwartete. Wir wurden von ukrainischen Wehrmachtssoldaten mit bissigen Hunden begleitet. Nach einer Nacht am Appellplatz in Dachau sind wir wieder zu Fuß in Richtung Tirol aufgebrochen. Wer nicht mitkonnte, wurde erschossen.
Am 3. Mai 1945 wurden wir hinter Bad Tölz von den Amerikanern befreit. Mit einer Gruppe österreichischer ehemaliger Spanienkämpfer, welche von den Nazis in Dachau interniert waren, kam ich Anfang Juni 1945 abends am verbrannten Wiener Westbahnhof an. Wir wurden vom damaligen Wiener Bürgermeister empfangen und ins Marienschlössel im 16. Bezirk eingeladen. Morgens nach dem Aufwachen kamen die Angehörigen der ehemaligen Häftlinge zu Besuch, zu mir ist jedoch niemand gekommen.
Nach einigen Monaten in Wien, nachdem niemand meiner Angehörigen und Bekannten zurück gekehrt war, bin ich nach Italien gekommen. Von Italien bin ich im Juni 1946 illegal in Palästina eingewandert, wo ich von den Engländern für einen Monat als illegaler Einwanderer interniert wurde.
Der Kladovo-Transport
Aus dem kurzen Aufenthalt wurden jedoch Monate des Wartens. Erst im September 1940 ging die Fahrt weiter, zum Entsetzen der Flüchtlinge jedoch stromaufwärts, auf Kohlenschleppern, bis ins kleine serbische Städtchen Šabac nahe Belgrad, wo sie erneut warten mussten. Zu Beginn des Jahres 1941 erhielten etwa 200 Jugendliche des „Kladovo“-Transports ein Zertifikat für die Einreise nach Palästina und konnten somit, wenige Wochen vor dem Einfall der deutschen Truppen in Jugoslawien, gerettet werden.
Am 17. April 1941 marschierte die Wehrmacht in Jugoslawien ein und die Kladovo-Flüchtlinge saßen in der Falle. Im Frühjahr 1941 fielen sie in Šabac in die Hände der Nazionalsozialisten, vor denen sie seit achtzehn Monaten auf der Flucht waren.
Schon bald nach der Besetzung Jugoslawiens formierten sich Tito-Partisanen zum bewaffneten Widerstand, worauf Hitler zusätzliche Truppen unter der Führung des Österreichers Franz Böhme nach Jugoslawien entsandte. Dieser lässt sogenannte Sühnemaßnahmen durchführen: für jeden verwundeten deutschen Soldaten werden 50, für jeden Gefallenen 100 Zivilisten erschossen. Anfang Oktober 1941 wurden bei einem Gefecht mit Partisanen 21 Soldaten getötet. General Böhme ordnete an, zur "Sühne" für jeden getöteten Deutschen insgesamt 2100 Menschen zu erschießen. Zu den Opfern dieser "Sühneaktion" zählten 805 Juden, Sinti und Roma aus dem Lager in Šabac - unter ihnen alle Männer des Kladovo-Transportes.
Die Frauen des Kladovo-Transports wurden zum Jahreswechsel 1941/42 in das KZ Sajmiste bei Belgrad überstellt, in dem sich bereits tausende serbisch jüdische Frauen und Kinder unter dem Lagerkommandanten Herbert Andorfer, einem Österreicher, unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert waren. Ab März 1942 holten von dort jeden Tag zwei Lastkraftwagen 50 bis 80 Menschen in Sajmiste ab. Auf der Fahrt durch Belgrad zum Zielort Avale wurde Gas in diese LKW eingeleitet, die Insassen ermordet und in Avale in Massengräbern vergraben. Bis zum Ende der Aktion im Mai 1942 wurden die rund 7.500 Jüdinnen aus Sajmiste, darunter alle Frauen des Kladovo-Transports, auf diese Weise vergast.
Alle Berichte: 1 2
Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Robert Singer wird 1928 in Wien geboren. Er lebt mit seinen Eltern und seinem Bruder in der Zirkusgasse 39. Nach dem Anschluss und der »Kristallnacht« erlebt Robert Singer als Kind die Demütigungen, Verfolgung und Deportation. Er selbst wird zunächst nach Theresienstadt verschickt, kommt dann ins KZ Auschwitz, nach Dachau und auf den Todesmarsch. Sein Bruder wird auf dem »Kladovo«-Transport erschossen, seine Eltern im KZ ermordet. Seit 1946 lebt Robert Singer in Israel, wohin er illegal einwandern musste.
Im April 2008 war Christoph M. im Projekt »Botschafter der Erinnerung« zu Gast bei Robert Singer in Israel. Die hier abgedruckte Lebensgeschichte hat Robert Singer handschriftlich verfasst.
»Die Fledermaus« im KZ Theresienstadt
Robert Singer hat die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz und Dachau überlebt: »Es war der Eingang zur Hölle auf Erden«.
Ich bin am 15. Mai 1928 in Wien geboren. Mein Vater Kurt und meine Mutter Rosa Singer wohnten in der Zirkusgasse 39/23. Mein Bruder Friedrich war sechs Jahre älter. Mein Vater war Beamter, meine Mutter Hausfrau. Unsere Fenster waren gegenüber vom Renz-Gebäude, und wenn ein Zirkus gastierte, ist es immer lustig zugegangen. Ich erinnere mich an Zirkus Krone, Sarassani, Hagenbeck und so weiter. Mein Kindergarten war im Augarten, im rückwärtigen Teil vom Augarten-Palais. Meine Schule war in der Blumauergasse 23, nahe unserer Wohnung. Meine Spielplätze waren der Prater und die Hauptallee. Bis zum Anschluss hatte ich eine glückliche und frohe Kindheit.
Im März 1938 begann eine grausame Zeit. Menschen wurden in den Straßen Wiens gezwungen, die Pflastersteine zu waschen, wurden misshandelt und geschlagen. Ich sah als Zehnjähriger dem Treiben dieses Pöbels zu. Nach einigen Wochen des Naziregimes wurden wir jüdische Kinder in der Schule auf die hinteren Bänke verwiesen. Mein Vater, welcher Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen war, wurde grundlos entlassen. Alle paar Tage wurden neue Gesetze veröffentlicht, zum Beispiel mussten Fotoapparate, Fahrräder, Ski, optische Geräte usw. abgegeben werden, ansonsten gab es schwere Strafen.
Nach den Ferien wurden wir in den Schulen der Israelitischen Kultusgemeinde unterrichtet, was sehr zu unserem Vorteil war, da die Lehrer zum größten Teil Universitätsabsolventen waren, welche vom Staatsdienst entlassen wurden, und das Lehrniveau so sehr hoch war.
Am 9. November, in der sogenannten Kristallnacht, wurden sämtliche Synagogen in Wien vernichtet, unzählige Geschäfte geplündert, tausende Menschen grundlos verhaftet. Da meine Großeltern väterlicherseits in der Tivoligasse in Wien-Meidling lebten, wo es ruhig war, haben mein Vater und mein Bruder bei ihnen Unterkunft gefunden und diese Tage überlebt. Ende 1938 mussten wir unsere Wohnung verlassen und in einem Zimmer Untermieter sein.
Als mein Bruder von einem Nazi angepöbelt wurde und diesem Nazi das Nasenbein brach, wurde er verhaftet und kam ins Polizeigefängnis Rossauerlände. Es waren furchtbare Wochen, da meine Eltern nicht wussten, ob er in ein KZ deportiert wird. Meine Eltern konnten mit viel Mühe erreichen, dass er einen Platz auf einem Transport nach Palästina erhielt. Aufgrund der Einreihung im Transport wurde er entlassen. Mit der Bahn und einem Donauschiff gelangte der Transport nach Jugoslawien, blieb aber aus verschiedenen Umständen dort stecken. Nach der Invasion und Eroberung von Jugoslawien wurde mein Bruder mit 800 weiteren Transportteilnehmern erschossen.
Ich als 11- bis 12-Jähriger sah die Welt anders, nicht mit den Augen der Erwachsenen. Mit einigen Kameraden besuchten wir ohne Wissen unserer Eltern das Stadion im Prater, und bei den Gedenkminuten an gefallene Soldaten während der Spiele grüßten wir, so wie alle, mit dem Hitlergruß. Wir gingen öfters zum Bootfahren auf die Alte Donau. In unzähligen Grünanlagen in Wien schmierten die Nazis »Nur für Arier« auf die Bänke. Bei vielen Lokalen hingen Tafeln »Für Juden und Hunde Eintritt verboten«, das war sehr beleidigend. In den Geschäften in Wien waren die Einkaufsstunden für Juden nur von elf bis drei Uhr nachmittags. Auf den Rationierungskarten war ein »J« aufgedruckt und viele Artikel wurden nicht an Juden verkauft.
Die Israelitische Kultusgemeinde errichtete eine Küche in der »Große Pfarrgasse«, wo zu Mittag Mahlzeiten verteilt wurden. Meine Mutter war dort als Köchin angestellt. Als in der Sperl-Volksschule ein Sammellager für die zum Transport bestimmten Menschen errichtet wurde, versorgte diese Küche das Lager mit Mahlzeiten. Die Menschen wurden dazu aus ihren Wohnungen ausgehoben und binnen zwei Stunden mit etwas Gepäck in die Sperlgasse überführt. Die Wohnungen wurden versiegelt und danach ausgeräumt. Durch den Arbeitsplatz meiner Mutter waren wir einstweilen von der Deportation befreit. Sobald die Sperlschule voll belegt war, wurden die Deportierten auf offenen Lastwägen durch die Straßen Wiens zum Aspern-Bahnhof transportiert, um von dort in Viehwaggons nach dem Osten deportiert zu werden.
Als der Judenstern verordnet wurde, änderte sich mein Leben. Wir wurden auf der Straße angepöbelt und auch misshandelt. Um uns Jugendliche von der Straße zu entfernen, fuhren wir mit der Tram Nr. 71 zum Zentralfriedhof, 4. Tor, wo ein großes Feld war und Gemüse angebaut wurde. Wir wurden in der Gärtnerei beschäftigt. Jedoch, als 12- bis 13-Jährige spielten wir dort auch Fußball und plünderten zu dessen Verdruss die Erdbeeren des Obergärtners. Im Winter, bei starken Schneefällen, meldeten wir uns zum Schneeschaufeln und erhielten durch die Gemeinde Wien für acht Stunden Arbeit 5 Mark und 30 Pfennig bar bezahlt, für jeden Tag der Beschäftigung.
Ich war sehr stolz über meinen ersten Verdienst. Wir wurden gewarnt, wenig auf den Straßen zu sein, und konnten auch nicht mehr wie früher an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Als der Schulbesuch schließlich gänzlich untersagt wurde, verbrachte ich tagsüber in der Küche, in welcher meine Mutter beschäftigt war. Ich lernte privat mit einer Lehrerin in einer Ecke des Speiseraums täglich ein bis zwei Stunden. Als Ende 1942 nur noch sehr wenig Juden in Wien waren, wurden meine Eltern und ich angewiesen, uns in einer Schule in der Malzgasse einzufinden, um am 1. Oktober nach Theresienstadt deportiert zu werden. Ich muss anführen, in Personenwaggons und nicht in Viehwagen, vom Aspern-Bahnhof.
Wir kamen am nächsten Tag in Bauschowitz an, sind auf einem Feld ausgestiegen und wurden von der tschechischen Gendarmerie drei Kilometer zu Fuß nach Theresienstadt eskortiert. Theresienstadt, ungefähr eine Stunde von Prag entfernt, eine frühere Garnisonsstadt mit großen Kasernen, umschlossen von roten Ziegelmauern. Es machte einen deprimierenden Eindruck, in den Straßen, welche menschenleer waren – in einer Geisterstadt zu sein. Bei jedem Transport wurden die Straßen gesperrt. Ursprünglich hatte Theresienstadt 7.000 Einwohner, nun wurden über 55.000 Menschen unter katastrophalen Wohnbedingungen eingepfercht. Meine Mutter wurde in ein Zimmer mit noch elf Frauen eingewiesen. Sie schliefen auf Matratzen, welche bei Tag zu Sitzgelegenheit wurden. Das wenige Gepäck diente als Polster. Mein Vater wurde in die Hannover-Kaserne eingewiesen und schlief auf einer Holzetage, welche zu Hunderten in einem Saal aufgebaut waren. Ich wurde ins Jugendheim L 218 eingewiesen, mit noch 12 Wiener Jugendlichen im Zimmer, schlief auch ich auf Holzetagen. Zur Arbeit wurde ich durch die Jugendhundertschaft eingeteilt.
Als Straßenkehrer, beim Teeren von Dächern, in einem Heilmittellager, auch für sechs Wochen in der Bäckerei, dort bekamen wir für jede Schicht 1/3 Brot Prämie. Nach einiger Zeit wurde ich Tischler bei der Gebäudeverwaltung der Dresdner Kaserne. Ein Filmregisseur aus Prag, Arnold Reiman, erhielt den Auftrag, auf dem Dresdner Dachboden eine Bühne aufzubauen. Er ersuchte mich, ihm behilflich zu sein. Ich wurde zur Freizeitstallung beordert und arbeitete mit ihm. Wir bauten die Bühne und ich machte aus Brettern ohne Rückenlehnen nummerierte Sitzreihen. Auf der Bühne wurden deutschsprachige Vorstellungen gegeben. Zum Beispiel »Die Fledermaus«, »Spiel im Schloss« von Molnar u.s.w. Wir bekamen ein Klavier auf Holzklötzen, und da in Theresienstadt Schauspieler mit Weltruf interniert waren, standen die Vorstellungen trotz der primitiven Ausstattung auf hohem Niveau und Hunderte Menschen vergaßen für zwei Stunden das Elend, das Leiden und den Hunger.
Im September 1944 wurde ich zu einem angeblichen Arbeitstransport eingereiht, jedoch kamen wir in Auschwitz an. Das war der Eingang zur Hölle auf Erden. Wir wurden nummeriert und wie Vieh mit Stockhieben herumgetrieben. Von Auschwitz wurde ich schließlich nach Landsberg am Lech in ein Zweiglager des KZ Dachau überwiesen, um Zwangsarbeit zu leisten. Zuerst im Lager 7 und später im Lager 11. Wir mussten schwere Bauarbeiten leisten, schliefen in feuchten Erdhütten, waren verlaust und immer hungrig. Im April 1945, als die Amerikaner das Baugebiet bombardierten, wurden wir zu Fuß von Landsberg nach Dachau getrieben. Beim Einmarsch ins KZ Dachau standen Waggons mit Hunderten Menschenleichen herum und wir verstanden, was uns erwartete. Wir wurden von ukrainischen Wehrmachtssoldaten mit bissigen Hunden begleitet. Nach einer Nacht am Appellplatz in Dachau sind wir wieder zu Fuß in Richtung Tirol aufgebrochen. Wer nicht mitkonnte, wurde erschossen.
Am 3. Mai 1945 wurden wir hinter Bad Tölz von den Amerikanern befreit. Mit einer Gruppe österreichischer ehemaliger Spanienkämpfer, welche von den Nazis in Dachau interniert waren, kam ich Anfang Juni 1945 abends am verbrannten Wiener Westbahnhof an. Wir wurden vom damaligen Wiener Bürgermeister empfangen und ins Marienschlössel im 16. Bezirk eingeladen. Morgens nach dem Aufwachen kamen die Angehörigen der ehemaligen Häftlinge zu Besuch, zu mir ist jedoch niemand gekommen.
Nach einigen Monaten in Wien, nachdem niemand meiner Angehörigen und Bekannten zurück gekehrt war, bin ich nach Italien gekommen. Von Italien bin ich im Juni 1946 illegal in Palästina eingewandert, wo ich von den Engländern für einen Monat als illegaler Einwanderer interniert wurde.
Robert Singer schreibt über seinen Bruder:
„Bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien erhielten wir Post von meinem Bruder Friedrich. Bei Kriegsende wusste ich nichts von seinem Verbleib. Erst im Laufe der Jahre wurden Einzelheiten über diesen Transport bekannt und es sind 3 Bücher darüber erschienen. „Die Tragödie von Kladovo“. Auf einem der Gruppenbilder in einem der Bücher erkannte ich ihn.“Der Kladovo-Transport
Von den Österreichern vertrieben, von den Engländern nicht hineingelassen, von den Deutschen ermordet!
Im November 1939 organisierte der "Mossad le Alija Bet" (eine in Palästina gegründete Organisation zur Rettung europäischer Juden) für etwa tausend Flüchtlinge einen illegalen Transport auf Donauschiffen nach Palästina. Sie kamen bis an die rumänische Grenze, wo die Schiffe im Dreiländereck Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien erstmals gestoppt wurden. Im kleinen Donauhafen Kladovo sollte die Eisschmelze abgewartet werde.Aus dem kurzen Aufenthalt wurden jedoch Monate des Wartens. Erst im September 1940 ging die Fahrt weiter, zum Entsetzen der Flüchtlinge jedoch stromaufwärts, auf Kohlenschleppern, bis ins kleine serbische Städtchen Šabac nahe Belgrad, wo sie erneut warten mussten. Zu Beginn des Jahres 1941 erhielten etwa 200 Jugendliche des „Kladovo“-Transports ein Zertifikat für die Einreise nach Palästina und konnten somit, wenige Wochen vor dem Einfall der deutschen Truppen in Jugoslawien, gerettet werden.
Am 17. April 1941 marschierte die Wehrmacht in Jugoslawien ein und die Kladovo-Flüchtlinge saßen in der Falle. Im Frühjahr 1941 fielen sie in Šabac in die Hände der Nazionalsozialisten, vor denen sie seit achtzehn Monaten auf der Flucht waren.
Schon bald nach der Besetzung Jugoslawiens formierten sich Tito-Partisanen zum bewaffneten Widerstand, worauf Hitler zusätzliche Truppen unter der Führung des Österreichers Franz Böhme nach Jugoslawien entsandte. Dieser lässt sogenannte Sühnemaßnahmen durchführen: für jeden verwundeten deutschen Soldaten werden 50, für jeden Gefallenen 100 Zivilisten erschossen. Anfang Oktober 1941 wurden bei einem Gefecht mit Partisanen 21 Soldaten getötet. General Böhme ordnete an, zur "Sühne" für jeden getöteten Deutschen insgesamt 2100 Menschen zu erschießen. Zu den Opfern dieser "Sühneaktion" zählten 805 Juden, Sinti und Roma aus dem Lager in Šabac - unter ihnen alle Männer des Kladovo-Transportes.
Die Frauen des Kladovo-Transports wurden zum Jahreswechsel 1941/42 in das KZ Sajmiste bei Belgrad überstellt, in dem sich bereits tausende serbisch jüdische Frauen und Kinder unter dem Lagerkommandanten Herbert Andorfer, einem Österreicher, unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert waren. Ab März 1942 holten von dort jeden Tag zwei Lastkraftwagen 50 bis 80 Menschen in Sajmiste ab. Auf der Fahrt durch Belgrad zum Zielort Avale wurde Gas in diese LKW eingeleitet, die Insassen ermordet und in Avale in Massengräbern vergraben. Bis zum Ende der Aktion im Mai 1942 wurden die rund 7.500 Jüdinnen aus Sajmiste, darunter alle Frauen des Kladovo-Transports, auf diese Weise vergast.
Alle Berichte: 1 2
Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.