Die letzten Zeugen - Das Buc

ARTHUR O. KERN


 
 

ARTHUR O. KERN

(früher Oswald Kernberg)
geb. 1928-10-19
lebt heute in den USA

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Arthur Kern wurde am 19.11.1928 als Oswald Kernberg in Wien, seine spätere Frau Trudie am 2.6.1930 als Gertrude Rebecca Katz ebenfalls in Wien geboren. Arthur konnte mit einem Kindertransport nach Frankreich ausreisen, Trudie flüchtete mit ihrer Schwester per Schiff in die USA. Heute leben beide in North Hills, USA.

Eine große Liebesgeschichte inmitten der Leidensgeschichte

Die Schülerin Lilly Maier hat Arthur und Trudie Kern zu sich nach Hause eingeladen. In ihrer Wohnung in Wien hatte Arthur bis zu seiner Vertreibung aus Österreich gelebt.

Im Zug dieses Projektes habe ich zwei Lebensgeschichten niedergeschrieben. Die von Trudie Kern, geborene Katz und die von Arthur Kern.

Diese beiden unglaublich liebenswürdigen und interessanten Menschen sind inzwischen gute Freunde von mir geworden. Sie sind zwei humorvolle Personen und für ihr Alter noch sehr agil. Sie reisen sehr viel und vor kurzem haben sie - mit 74 und 76 Jahren - sogar einen Kurs über digitale Fotobearbeitung gemacht.

Arthur Kern hat als Kind in der Wohnung gewohnt, in der ich jetzt lebe, und am 30.3.2003 hat er mich mit Trudie hier besucht.

Wir haben ein sehr interessantes Gespräch geführt und ich habe bei "A Letter To The Stars Teil I" die Lebensgeschichte seiner Mutter Frieda Kernberg niedergeschrieben.

Diese zwei verschiedenen Geschichten von Trudie und Arthur, die dann zu einer werden, sind eigentlich auch eine Liebesgeschichte: Zwei Menschen, die in Wien quasi Nachbarn waren, soviel Leid erlebten und nach Amerika flüchteten, um sich dort an der Uni kennen zu lernen, sich ineinander verlieben und zu heiraten.

Oswald Arthur Kernberg wurde am 19.November 1928 in der Thurygasse 7-9 im 9. Wiener Gemeindebezirk geboren. Im November 1933 zogen er, seine Mutter Frieda Kernberg geb. Goldfeld, sein Vater Samuel Hersch Kernberg und sein Bruder Fritz in die Gussenbauergasse1.

Sein Vater besaß eine Strickwarenfabrik in der Hardtgasse 32, Wien 19.Bezirk. Seine Mutter Frieda arbeitete in der Fabrik des Vaters. Arthur und sein Bruder Fritz hatten ein Kindermädchen. Arthur: "Meine Mutter war eine schreckliche Köchin, zuhause hat es nur gut geschmeckt, wenn das Kindermädchen gekocht hat."

Frieda hatte 3 Brüder und eine Schwester, sie waren alle verheiratet und hatten Kinder. Die Brüder lebten in Wien und die Schwester, mit der Frieda öfters nach Marienbad zur Erholung fuhr, wohnte in Heidenreichstein. Arthurs Vater hatte einen Bruder, der in Wien lebte und 3 weitere, die in Polen lebten. Sie waren ebenfalls alle verheiratet und hatten Kinder.

Arthur: " Alle von uns, die in Wien lebten, insbesondere die Schwester meiner Mutter und der Bruder meines Vaters, hatten eine sehr enge Beziehung zueinander. Wir trafen uns oft zu gesellschaftlichen Ereignissen oder Ausflügen, z. B. auf den Kahlenberg oder den Semmering. Im Winter fuhren mein Bruder und ich sehr oft Schlittschuh und Schi. Etliche Sommer verbrachten wir am Anwesen von meiner Tante und meinem Onkel in Heidenreichstein. Mein Bruder und ich wurden auch einmal den ganzen Sommer nach Grado in Italien in ein Camp geschickt. Wir hatten ein tolles Leben!"

Arthur besuchte eine Volksschule in der Nähe der Alserbachstraße, die es heute nicht mehr gibt. Im September 1938 wollte er auf das Gymnasium wechseln, was ihm aber aufgrund seiner Religion nicht gestattet wurde. Er musste in eine jüdische Schule gehen, die er bis zum 14.März 1939 besuchte. Danach floh er aus Wien.
Das tolle Leben hatte ein Ende.

Am 17. Mai 1939 wurde die Strickwarenfabrik von den Nazis übernommen. Frieda und ihr Mann wurden gezwungen, die Fabrik zu einem Spottpreis zu "verkaufen". Vergeblich versuchte die Familie auszuwandern. Die Familie hatte über den Cousin Martin Fleischmann ein Affidavit der Vereinigten Staaten - eine Art Bürgschaft - erhalten, bekam aber trotzdem kein Visum, um nach Amerika einzureisen.
Aber immerhin schaffte es die Familie, Arthur durch einen sogenannten "Kindertransport" 1939 nach Frankreich zu schicken!
Er und sein Bruder Fritz standen auf der Liste für den 1.Transport am 14. März 1939, der zweite Transport fand eine Woche später statt. Schlussendlich wurde aber nur Arthur akzeptiert, weil Fritz zu alt war (13 Jahre)!

Arthur blieb zweieinhalb Jahre lang in Frankreich. Er lebte in verschiedenen Kinderheimen, mit vielen deutschen und österreichischen Kindern. In den Heimen fand auch improvisierter Unterricht statt. Arthur lernte ein wenig Französisch und französische Geschichte.
Er bekam Briefe von seinen Eltern. Sie schrieben, er solle brav Französisch lernen und dass sie versuchen würden, in die USA auszureisen. Im letzten Brief gratulierten sie im zum 13. Geburtstag. "Mein teuerster Liebling..."

Arthur: "Im ersten Jahr in Frankreich war es nett, abgesehen davon, dass viele Kinder Heimweh hatten und ihre Eltern vermissten. Nachdem die Deutschen einmarschiert waren, wurde es schlimm. Es gab nicht genug zu essen und zu wenig Kleidung und Schuhe. Zusätzlich begann die Polizei, die älteren Kinder zu verhaften. Wir hatten immer Angst und versteckten uns, wenn die Polizei kam. Viele Kinder fanden heraus, dass ihre Eltern deportiert worden waren und viele wussten nicht, was mit ihren Eltern geschah. Ich hatte Glück: Mein Vater hatte einen Verwandten in der Schweiz und so hatten wir Briefverkehr, wenn auch nicht sehr oft."

Nachdem Frankreich im Juni 1940 fiel, wurden die Kinder von den Heimen in der Nähe von Paris umgesiedelt in ein Schloss in der Nähe von Limoges. Zu dieser Zeit war es sehr gefährlich für Juden in Frankreich, besonders für im Ausland geborene Juden. Die französische Organisation "Oevre De Secours aux Enfant" (OSE) begann, so viele gefährdete Kinder wie möglich aus Frankreich herauszubringen. Die Vereinigten Staaten erklärten sich bereit, eintausend jüdische Kinder in Gruppen zu je100 in den USA aufzunehmen. Arthur: "Ich war eines der Kinder in der zweiten Gruppe mit 100 Kindern. Ich hatte viel Glück, denn nur noch ein weiterer Transport mit 50 Kindern verließ Frankreich nach uns."

Seine Eltern und sein Bruder Fritz waren derweil am 26. Februar 1941 nach Opole, Polen deportiert worden. Von Opole aus schickte der Vater noch eine schriftliche Bewilligung, dass sein Sohn Arthur in die USA einreisen darf und soll. Die Kernbergs starben in Polen. Wann und wo genau, ist nicht völlig geklärt..Arthur aber war dem Holocaust und dem Krieg entkommen!

Arthur: "Als ich nach New York kam, sprach ich kein Englisch und wurde in der Schule zurückgesetzt. Nach wenigen Monaten sprach ich aber ziemlich gut Englisch und absolvierte die Grade School, Junior High School und die High School. Ab dem Zeitpunkt, wo ich 13 Jahre alt war, arbeitete ich immer nach der Schule und während der Ferien. Ich arbeitete als Austräger, Eierverpacker in einem Milchgeschäft, als Helfer in einer Kleiderfabrik, Plastikfabrik, in einer Druckerei, einem 5- und 10- Centgeschäft und als Botenjunge bei einer Versicherung."

In New York lebte Arthur nach seiner Ankunft eine Woche lang in einem Waisenhaus und kam dann zu einer Pflegefamilie. Nach etwa zwei Jahren übersiedelte er zu einer Tante, die nach Amerika geflüchtet war. Als er das Gymnasium beendet hatte, musste er ausziehen. Den Cousin Martin Fleischmann hat er nie getroffen.

Im Jahr 1951 wurde Arthur amerikanischer Staatsbürger und änderte seinen Namen von Oswald Arthur Kernberg in Arthur Kern. Arthur studierte Maschinenbau an der Universität von New York (" City College of New York "). Während des Studiums arbeitete er als Kellner in einem Hotel, um sich die Ausbildung zu finanzieren. Was aber wesentlich wichtiger war: bei einer Prüfung lernte er eine junge attraktive Frau kennen, die viele Jahre zuvor - in Wien - nur wenige Straßen von ihm entfernt gewohnt hatte. Trudie Katz hatte zusammen mit ihrer Schwester die Flucht nach Amerika geschafft. Mit einem schelmischen Lächeln erzählt Arthur heute: "Trudie half mir bei eine Mathematikprüfung, das fand ich so toll, dass ich mich in sie verliebt habe."

Gertrude Rebecca Katz wurde am 2. Juni 1930 in Wien-Floridsdorf geboren. Zusammen mit ihrer Mutter, Anna Katz, geb. Taussky, ihrem Vater Geza Katz und ihrer Schwester Alice zog sie bald darauf in die Nussdorferstraße 4A.

Ihre Mutter war eine Wienerin der "zweiten Generation". Sie war eine bekannte Künstlerin und Absolventin der Kunstgewerbeschule. Ihr Vater war gelernter Landwirtschaftsingenieur. Er besaß eine eigene Firma, die aber später von den Nazis konfisziert wurde.

Gertrude begann ihre Schullaufbahn in einer normalen Volksschule. Sie wechselte aber nach wenigen Wochen in eine Montessorischule, die sie bis zur 3.Klasse besuchte. Danach musste sie Wien verlassen.

Im Februar 1939 schickte Gertrudes Mutter ihre Kinder in Sicherheit: Gertrude und ihre Schwester Alice reisten per Schiff nach New York zu einem Onkel und einer Tante. Damals war Gertrude achteinhalb Jahre alt und ihre Schwester Alice 13.

Gertrudes Vater war interniert worden und ihre Mutter wollte den Vater nicht alleine zurücklassen. Immer wieder versuchte sie, die Familie legal aus Österreich herauszubekommen - nach Kuba, Amerika, Italien. Vergeblich.
Schließlich wurde der Vater aus dem Gefängnis entlassen - oder er konnte fliehen. Bis heute kennt Gertrude die genauen Umstände nicht: "Er sprach nie über seine Internierung." Jedenfalls gelang den Eltern danach die Flucht nach Ungarn.

In einem Brief an Gertrude schrieb die Mutter, ihnen allen gehe es gut. Und sie habe einen kleinen Bruder "Tommy" bekommen! Sie legte dem Brief eine wunderschöne Kohlezeichnung vom Bruder bei. Gertrude: " Ich hatte damals keine Ahnung, wer dieser Junge war und woher ihn meine Eltern kannten."

Im Mai 1948 konnten die Eltern schlussendlich auch nach Amerika auswandern. Seit Februar 1939 hatten die beiden Kinder Gertrude und Alice ihre Eltern nicht mehr gesehen! Aber immerhin hatten die Eltern die Nazizeit und den Krieg überlebt. Denn allein in der engeren Familie des Vaters starben 128 Verwandte im Zuge des Holocaust. Die Verwandten mütterlicherseits hatten mehr Glück, viele von ihnen konnten fliehen.

Trudies Vater war gerade mal einen Monat in Amerika, als er beschloss, die US-Staatsbürgerschaft anzunehmen. Dabei konnte man seinen Namen als Immigrant gratis ändern lassen. Trudies Vater war der Meinung, dass der Name Katz ihm keine Türen öffnen würde, weil immer noch sehr viele Leute antisemitisch eingestellt waren. Die Familie beschloss, den Namen in das neutrale "Karen" zu ändern.

Am Morgen, bevor der Vater in das zuständige Amt ging, aß er zum Frühstück Cornflakes von Kellogg´s. Er war der Meinung, dass Kellogg ein sehr angesehener Name sei und beschloss in letzter Minute, sich nicht "Karen" sondern "Kellogg" zu nennen. Trudie: "Er kam nach Hause und sagte: ,Jetzt heißen wir Kellogg.' Es ist wohl unnötig zu sagen, dass außer meinen Vater alle den Namen schrecklich fanden."

Gertrude (nun Trudie genannt) studierte Elektrotechnik und Mathematik an der Universität von New York ("School of Technology at CCNY"). Während des Studiums arbeitete sie in mehreren Bibliotheken, um sich die Ausbildung zu finanzieren. Was aber wesentlich wichtiger war: Bei einer Prüfung lernte sie einen jungen attraktiven Mann kennen, der viele Jahre zuvor - in Wien - nur wenige Straßen von ihr entfernt gewohnt hatte. Arthur: "Trudie schrieb mir eine Mathematikarbeit, das fand ich so toll, dass ich mich in sie verliebt habe."

Arthur Kern hatte seine Eltern und seinen Bruder im Holocaust verloren und als Einziger der Familie die Flucht nach Amerika geschafft.

In ihrem letzten Studienjahr, am 9.September 1951, heirateten Arthur und trudie in Bronx, New York. In diesem Jahr bekam Trudie auch ihren ersten richtigen Job: in der Forschung für eine Elektrofirma. Nach Abschluss ihres Studiums zogen die beiden nach Los Angeles, Kalifornien, und begannen richtig zu arbeiten. Trudie arbeitete beim Flugzeughersteller "Lockheed Aircraft" und Arthur bei verschiedenen Technik-Firmen. Kurz darauf begann Arthur bei "Rockwell Int'l", dort arbeitete er die nächsten 38 Jahre. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes Aaron 1953 arbeitete trudie für lange Zeit nicht mehr bzw. nur noch halbtags.

Insgesamt bekamen Trudie und Arthur drei Söhne: Aaron, David und Danny. Aaron ist am 11.Mai 1953 geboren, er ist verheiratet und hat zwei Töchter: Rachel, 18 und Shira, 15. Er ist Doktor für Innere Medizin, seine Frau Leslie ist Krankenschwester und hat gerade ihren Doktor gemacht. David ist am 20. Mai 1956 geboren, er ist verheiratet und hat ebenfalls zwei Kinder. Sein Sohn Alex, 22, ist adoptiert und bei der Marine. Seine Tochter Sami, 15, geht auf die High School. David ist Versicherungsvertreter. Seine Frau heißt Olga, aber sie wird Nena genannt.
Der jüngste Sohn Danny ist am 6. Mai 1958 geboren und nicht verheiratet. Er ist Anwalt und auf Patentrecht spezialisiert.

Im gleichen Jahr, 1958, starb Trudies Vater. Die Mutter starb 1989. Als Danny 13 Jahre alt war, begann Trudie wieder ganztags in der Finanz-Industrie zu arbeiten. Schließlich wurde Trudie Vize-Direktorin einer großen Bank. Dort arbeitete sie, bis sie 1987, mit 57 Jahren, in Rente ging.  Im Januar 1994 ging auch Arthur mit 66 Jahren in Rente.

Trudies Lebensphilosophie lautet: "Ich kann nicht sagen, was ich als Kind dachte. Aber als Erwachsene weiß ich: Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben oder in ihr hängen zu bleiben. Meine Hoffnungen für eine bessere Welt liegen in den Händen der heutigen Jugend."

Arthurs ganz persönliche Lebensweisheit: "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man nicht sehr lange mit Hass im Herzen leben kann, ohne sich selbst zu zerstören. Und man muss versuchen, immer das Beste aus den Umständen zu machen, die das Leben dir bringen. Außerdem hatte ich Glück: Eines der Kinder, die ich in Frankreich kennen lernte, ein Junge aus Berlin, wurde ein sehr enger Freund von mir. Seine Name ist Aaron Low. Wir kamen gemeinsam in die USA, wir lebten beide in New York, wir wohnten während des Colleges zusammen. Wir waren des anderen Mutter und Vater, wir trösteten einander und halfen uns - bis zum heutigen Tag. Und viele der Kinder, die mit mir in Frankreich waren, haben im Lauf der letzten 65 Jahre zusammengefunden, 25 von uns leben derzeit in Kalifornien. Wir alle sind noch immer Freunde!"

Lilly Maier, Erich-Fried-Realgymnasium Wien

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