Die letzten Zeugen - Das Buc

STELLA HERSHAN


 
 

Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Carina Klement, 2007 Schülerin an der BAKIP Mureck in der Steiermark, ist als Botschafterin der Erinnerung in New York der Überlebenden Stella Hershan begegnet, die mit ihrer Familie aus Wien flüchten konnte.

"Stella, meine neueste Freundin und amerikanische Oma"

Carina Klement über ihre Begegnung mit Stella Hershan, weiteren Überlebenden sowie ihre Woche in New York.


Als ich am Dienstag den 10.April 2007 am Flughafen in Wien ankam, konnte ich mich noch an ein paar Gesichter vom „Kennenlernseminar“ in Wien erinnern. Ich stellte mich zu den Jugendlichen, die bereits da waren, was in mir ein Gefühl der Sicherheit auslöste. Denn niemand wusste wirklich was auf ihn zukommen wird, wie alles in 10 Stunden aussieht, dennoch in 3 Tagen.

Wir sprachen über Erwartungen der Kontaktpersonen mit denen wir bereits Kontakt hatten, über unsere Unsicherheit, wie sieht New York aus?
 
Nach Eintreffen aller restlichen Schüler aus ganz Österreich, Interviews zur Vorstellung des „Pakets der Erinnerung“ vor dem ORF und letzten Verabschiedungen ging es zum Einchecken und somit auch in das Flugzeug. Ich realisierte eigentlich nicht wirklich was geschah.

„Ich sitze im Flugzeug nach Amerika? Und wenn ich es verlasse, bin ich in Amerika?“ Wie absurd dieser Gedanke war. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Ein Traum würde in Erfüllung gehen.

Als wir nach etwa 8 Stunden Flugdauer am Flughafen in Amerika (Amerika?!?) ankamen, war ich mit meiner Einstellung noch in Österreich.
Nachdem wir unser Gepäck hatten begaben wir uns in unseren Bus. Für kurze Zeit konnte ich die amerikanische Luft genießen und auf einen Blick an die 15 gelben Fahrzeuge sehen. Nein, das war nicht die Steiermark. Nach einer einstündigen Busfahrt kamen wir vor dem Hostel in der Amsterdamavenue an. Nach einigen organisatorischen Dingen bezogen wir unsere Zimmer und es blieb nicht viel Zeit und wir fuhren noch am selben Tag mit der „subway“ zur Times Square.

Zum ersten Mal in der subway. Ein wunderbares Gefühl. Dennoch noch ziemlich müde von der langen Reise. Mit immer wieder zufallenden Augen kämpfte ich mich die Treppen der Station hinauf.
Bunte Lichter. Blinken. Riesenhäuser. Massen an Menschen.
Es war klar, dass wir in keinem Dorf in Österreich waren, jedoch war ich wohl zu müde um mich auf New York einzulassen.
Nach einem mir wohltuenden Schlaf in meinem neuen Bett wachte ich gemeinsam mit mir noch etwas fremden Leuten auf.

Mittwoch.
Ab zur self-help group. In einem großen Raum mit vielen Tischen warteten etwa 60 Überlebende des Holocausts auf uns.
So „like blind-dating“ durften wir uns zu diesen Personen setzen und mehr über sie und ihre interessante Vergangenheit und ihren für mich unvorstellbaren Erlebnissen kennenlernen.
Alle waren total unterschiedlich. Sie hatten alle eine andere Methode, ihre Vergangenheit zu verarbeiten.

Als ich mich an den ersten Tisch setzte, war es etwas schwierig, mit dieser Frau zu kommunizieren. Sie hörte schon sehr schlecht, konnte mich kaum verstehen. Auch sehr lautes Sprechen half nicht viel. Wobei eine andere Frau, die auch daneben saß, sofort bereit war, zu erzählen.

„Mit meinen Enkelkindern rede ich eigentlich nicht über diese Zeit. Ich will ihnen Positives mitgeben“, antwortete sie, als ich sie fragte wie sie mit dieser Situation umgehen würde.

Dieser Satz blieb mir besonders in Erinnerung.

Sie erzählte schrecklichste Dinge, wie zum Beispiel vom Konzentrationslager, in dem sie und ihre Eltern waren. Der Hungersnot. „Da war ein Mann, der brachte mir immer ein Sandwich und mein Vater teilte es auf. Jeder bekam ein winziges Stück.“ Ich hörte ihr liebend gern zu, sie hatte viel zu erzählen und anscheinend war ich ihr sympathisch, denn sie wollte mich sofort mit ihrem Enkelsohn verkuppeln. Sie schrieb seine Handynummer, Adresse usw. auf. Schlussendlich gab sie mir auch ihre Adresse und ich werde auch mit ihr Briefkontakt pflegen.

Nach meinen Bekanntschaften, welche alle nur Englisch sprachen, oder sprechen wollten kam ein Mann auf mich zu „Ich spreche auch Deutsch“ und begann mir das Blaue vom Himmel zu erzählen. Natürlich auf Deutsch.  Er schien sehr intelligent. Er erzählte über all das, an das er sich noch erinnern konnte, und welche Gassen, Schulen und Gebäude aus Wien er noch auswendig weiß.

Nach diesem erfahrungsreichen Vormittag gingen wir in das LEO-Baeck Institut. Wir nahmen in einem kleinen Saal Platz, wo uns hauptsächlich vom Judentum erzählt wurde. Ich wunderte mich, wie sehr sich Leute mit dem Judentum beschäftigen, welche Fakten sie wissen und wie sie sich damit auseinandersetzen.

Ich musste diesen Vortrag verfrüht verlassen, da ich meine Kontaktperson STELLA HERSHAN das erste Mal persönlich treffen würde. Nicht weit vom LEO-Baeck Institut entfernt, in der Fifth Avenue wohnt sie.

Stella. Mit innerlicher Unruhe kam ich der Eingangshalle ihres Wohnblocks näher. Nach einem kleinen Anruf des Pförtners in Stellas Wohnung betrat ich einen wunderschönen Lift. Der schönste den ich bis jetzt in New York gesehen hatte.
Am Gang wartete Stella bereits auf uns.
Ich hatte sie noch nie gesehen, doch sie war mir nicht fremd.
Ich konnte Wärme zwischen uns spüren. Die ersten Gespräche bei Tee und Kuchen auf ihrer gemütlichen Couch waren so, als hätte ich sie schon öfter in meinem Leben besucht und als würde ich sie schon ewig kennen.
„Newest friends“, wie sie es zu sagen pflegt.

Meine neueste Freundin ist 92 Jahre alt. Jedoch kann man dies äußerlich und innerlich nicht bemerken. Sie ist sehr gut im Diskutieren und im Erzählen, sie ist einfach eine Frau, die man bewundert. „So möchte ich auch einmal werden“, habe ich mir vorgenommen.

Seit dieser Begegnung mit diesen reifen Leuten in New York schätze ich ältere Leute umso mehr. Welch eine Lebensgeschichte sie haben, die vielen Erfahrungen. Einfach bewundernswert.

Mit diesem Leitsatz verabschiedeten Josef Landner und ich uns von Stella Hershan, doch es war klar, dass wir uns noch viel öfter in dieser Woche sehen müssten. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf.

Das genau ich die Ehre hatte gerade in New York zu sein und diese, auch für die Zukunft, tollen Erfahrungen zu machen stimmte mich glücklich.
Ich muss unbedingt allen Leuten davon erzählen, auch in Österreich.
Ich war stolz so was erleben zu dürfen. Ich konnte es nicht für mich behalten. Schon als ich in die Jugendherberge zurückkam erzählte ich meinen Zimmerkollegen von meinem Erlebnis.
Da die meisten ihre Kontaktperson noch nicht getroffen hatten waren sie umso gespannter, wie dies bei ihnen sein würde.

Als ich am nächsten Tag in der Früh aufwachte und im Badezimmer war fuhren wir zum „museum of jewish heritage“. Dort erwartete uns schon ein ehemaliger Wiener, der mit uns eine Führung durch das Museum machen würde. Er sprach trotz wenigem Gebrauch wunderschönes Deutsch.

Für mich war es erstaunlich, dass ältere Menschen, die meine Großeltern sein könnten Englisch und Deutsch sprachen, denn mein Großvater kann „nur“ Deutsch und hat keine Ahnung von Englisch. Der Mann führte uns durch das Museum und berichtete uns von der Zeit des Holocausts. An eine Tafel kann ich mich noch genauestens erinnern.

Es wurden die Umrisse von Ländern gezeigt und statistisch wie viele Juden dort lebten und dann wie viele Juden überlebten und wie viele umgebracht wurden. Es war eine erstaunliche Zahl. Oft überlebte nur ein Drittel der Juden die zuvor in diesem Land wohnten. Für mich war diese Tafel schockierend. Man weiß das Juden umgebracht wurden, man hat dies schon öfter erwähnt oder gehört. Doch mit dieser Tafel wurde mir diese schreckliche Zeit umso bewusster. Nach dieser inforeichen Führung gab es im „museum of heritage“ ein Buffet, wo teilweise Kontaktpersonen auf uns warteten.

Stella war auch da. Ich freute mich sehr.

Bei Kuchen und Keksen konnten wir wieder plaudern. Und auch Dorit P. Whiteman durfte ich bei dieser Gelegenheit kennen lernen, denn zwei Schülerinnen aus meiner Klasse hatten vor dieser New York Reise ein Interview mit ihr in Wien. Auch die Nichte von Stella, welche sie begleitete lernte ich kennen. Sie war total begeistert, als ich vom Projekt „a letter to the stars“ erzählte, denn eine ihrer Töchter ist genau so alt wie ich.

Sie erzählte mir über ihre Familie, Stella und Amerika und was ich unbedingt sehen muss. Auch sie schien mir sympathisch und auf keinen Fall fremd. Ich fühlte mich wohl. Doch auch dieser Tag ging zu Ende.

Am nächsten Tag, es war schon Freitag, meldete ich mich freiwillig am Vormittag um in das „self-help-office“ mitzugehen. Ich war noch vom ersten Tag beeindruckt und wollte nach diesen rührenden Erfahrungen und Geschichten mehr über self-help erfahren. Gemeinsam mit Barbara durfte ich eine gewisse Mrs. Katz in ihrer Wohnung besuchen und auch ihrer Geschichte lauschen. Doch Mrs. Katz verarbeitete ihre Vergangenheit etwas anders als die bisherigen Personen mit denen ich sprach. Sie erzählte uns mehr von Gegenwart und Zukunft, was wir natürlich auch annahmen. In ihrem Wohnzimmer standen an die 20 Trophäen, die sie bei Tennis-Turnieren gewonnen hat. Da Mrs. Katz fast blind ist, kann sie nicht mehr Tennis spielen. „Ich kann den Ball fast nicht mehr erkennen“, sagte sie und man bemerkte trotzdem wie sehr es sie reizen würde wieder einmal Tennis zu spielen. Sie setzt sich fünf Mal in der Woche in einen Bus, der sie zum Schwimmbad bringt, wo sie dann eineinhalb Stunden schwimmt. „Die Straße überquere ich erst wenn ich höre, dass alle Autos stehen bleiben“, berichtete sie uns. Es ist für mich unvorstellbar und unglaublich, dass Mrs. Katz so aktiv ist, dass sie trotz ihrer Blindheit eine 40-minütige Fahrt ins Schwimmbad überwindet.
Nach einem etwa 2-stündigen Besuch kehrten Barbara und ich zum self-help-office zurück.

Am Nachmittag hatte ich dann einmal die Möglichkeit auch alleine mit Michaela das große New York zu erkunden. Wie es so bei Frauen ist, schoss uns ein gemeinsamer Gedanke durch den Kopf: „Shopping!“ Ab zum Union Square, wo wir dann mitten auf einem wunderbaren Markt standen, wo es Äpfel und Apfelsaft wie in der Steiermark gab und ich somit auch fündig geworden bin.  Nach Erkundungen einiger Geschäfte packten wir unsere Karten aus und suchten den Weg zum Triumphbogen, wo wir uns mit Josef Landner trafen um gemeinsam zu Stella Hershans Haus zu gehen.

Schlussendlich beim Triumphbogen angekommen und in Stellas Haus wurden wir von den Pförtnern, welche sehr freundlich waren aufgehalten um ihren „tollen“ Zaubertricken zuzusehen. Nach einiger Zeit durften wir Stella dann in ihrer Wohnung besuchen und sie wartete wieder einmal auf uns. Ich stellte ihr Michaela vor und so konnte sie auf ihren Wunsch hin auch eine der anderen Jugendlichen aus Österreich besser kennen lernen.

Nach dem Besuch bei Stella gingen wir mit Josef Landner zurück zum Union Square, wo wir dann mit einem Kaffe von Starbucks den Broadway entlang gingen, das World Trade Center, das Empire State Building und viele andere interessante Sehenswürdigkeiten New Yorks sahen. Und der vierte Tag ging zu Ende. Ich glaube behaupten zu können, noch nie so viel in vier Tagen erlebt zu haben und legte mich zu Bett.

Am Samstag, dem Sabbat, besuchten wir eine Synagoge.
Es war wieder eine neue Erfahrung an einem Gottesdienst einer anderen Religion teilnehmen zu dürfen und auch in dieser Synagoge aufgenommen zu werden. Männer bekamen eine „Kipa“ und Frauen bekamen Gebetsbücher und saßen getrennt. Nach diesem Gottesdienst nahmen wir an einem Buffet mit koscherem Essen teil und ein paar Jugendliche trafen zugleich bei diesem Buffet ihre Kontaktpersonen.

Am Sonntag war ich am Vormittag mit freiwilligem Entschluss mit 3 anderen Jugendlich im „Heritage museum“ und lauschte der Geschichte eines Mannes. Er fand das Tagebuch seiner Mutter an und will dies nun auch veröffentlichen und erzählte uns darüber. Eine der Geschichten, welche mich total schockierte war, dass ein Bub in das Meer gefallen ist und seine Mutter sofort nach gesprungen ist, ihnen jedoch keiner half, da sie Juden waren. Schrecklichste Ereignisse über die man in Geschichtebüchern nie hören könnte wurden uns näher gebracht. Total interessiert und respektvoll hörten wir dem Mann zu und bewunderten auch seine Materialien, die er mitgebracht hatte.

Danach trafen wir in einem Saal auf all die anderen Jugendlichen aus Österreich und nahmen zur Gedenkfeier Platz. Nach der Gedenkfeier kämpften wir uns durch den Regen in die Jugendherberge zurück, wo wir gegenüber eine Riesenpizza kauften und die dann gemütlich im chilligen Saal mit Polstern und Fernsehern verschlangen.

Am Montag unseren eigentlich letzten Tag wollte ich noch genießen. Ich wollte noch so viel sehen. Doch die Zeit war zu kurz. Nach einem Einkaufsvormittag am Union Square besuchte ich Stella am Nachmittag zum letzten Mal.

Es war traurig, denn ich weiß nicht, ob ich diese Person, meine neue Oma, jemals wieder sehen würde. Ich schloss sie in mein Herz. Schließlich ist sie ja meine neueste Freundin und amerikanische Oma.

Sie wollte mir unbedingt Thomas vorstellen. Er ist Gedenkdiener und kommt jeden Montag für ca. eineinhalb Stunden zu ihr. Sie säubern die Bücher und er hilft ihr bei der Arbeit am Computer und was noch so anfällt. Doch auch er musste nach einer Zeit gehen. Nun waren wir noch zu dritt: Stella, Josef Landner und ich.

Ich wollte es genießen, doch irgendwie ist es mir nicht richtig gelungen, ich wollte nicht, dass diese schöne Woche schon vorbei ist. Nichts desto trotz musste auch ich mich von Stella, dieser Persönlichkeit, die mir sehr viel bedeutet, verabschieden. Ich muss zugeben, dass ich bemerkte, wie meine Augen feucht wurden. „Ich schreibe dir sobald ich zu Hause bin“, sagte ich ihr und verließ den Gang.

Nun spazieren Josef Landner und ich in Richtung „little Italy“ und dann nach „china town“ um dort die restliche Gruppe zu treffen und einen schönen letzten Abend zu verbringen.
In einem Lokal in „china town“ mit Karaoke-Bar ließen wir uns nieder und aßen und sangen bis in die Nacht.

Ein schöner letzter Abend, doch als wir bei der „subway-station“ ankamen, bemerkten wir, dass unsere Karte nicht mehr gültig war. Trotz Unruhe bekamen wir neue Karten und fuhren zur Jugendherberge.

Die letzte Nacht in diesem Zimmer. Obwohl es oft kalt war und vor unserem Fenster eine Baustelle war und wir nichts sehen konnten wollte ich noch nicht weg. Ich wollte noch so viel sehen.  Und auch die Leute sind mir ans Herz gewachsen.

Nach einem Vormittag im Central Park und einem Pizzastück kehrten wir auch an unserem letzten Tag zurück zur Jugendherberge um in den Bus in Richtung Flughafen einzusteigen.

Nach einem Rückflug, den ich total verschlafen hatte, verabschiedeten wir uns und traten die Heimreisen an.
„Ich hoffe wir sehen uns wieder“.

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