Die letzten Zeugen - Das Buc

SUSAN MULLER


 
 

SUSAN MULLER

(früher Karpel)
geb. 1926-07-14
lebt heute in Kanada


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Susan Muller wurde am 14.7.1926 als einziges Kind von Rudolf und Melanie Fuchs geboren. Ihre Mutter konnte für kostbare Ölbilder drei Schiffskarten nach Shanghai besorgen, wo sich die Familie unter schwierigen Verhältnissen durchschlagen konnte. Heute lebt Susan Muller in Toronto.

In der Kristallnacht wurde Susans Schule angezündet 

Die Schülerin Lisa Breit hat die Lebensgeschichte von Susan Muller erforscht.

Die Gedanken daran, welche Person und welches Schicksal sich wohl hinter diesem Namen verbergen könnte, beschäftigte mich sehr, bevor ich meinen ersten Brief schrieb. Jetzt habe ich eine Lebensgeschichte einer wunderbaren Frau kennen lernen dürften, die durch ihre Briefe besser als jeder Geschichtsunterricht zeigt, was es bedeutete, in der Nazizeit als Jüdin in Wien zu leben.

Susan Muller ist mittlerweile 78 Jahre alt und lebt seit 55 Jahren in Toronto. Mit elf Jahren musste sie ihre Heimatstadt Wien verlassen, in die sie erst Jahre später zurückkehren konnte. Sie begann ihr Schreiben mit folgenden Worten: „Ich bin am 14.Juli 1926 in Wien geboren, als einziges Kind von Rudolf und Melanie Fuchs.“ Ihr Vater, Oberleutnant der österreichischen Armee im ersten Weltkrieg, arbeitete seit seinem 18. Lebensjahr als Bankangestellter bei der Länderbank. Als einen großen Patrioten, der zuerst Wiener und dann erst Jude war, beschreibt ihn Susan. Ihre Mutter, eine tüchtige Geschäftsfrau, hatte ein Jahr vor dem Anschluss einen kleinen Feinkostladen in Hietzing eröffnet, um ihrem Mann nach der Pension eine Beschäftigung zu verschaffen. Sie bewohnten damals ein schönes Haus in Hietzing und Susan besuchte die Volksschule in der Wenzgasse.


Als Hitler 1938 mit den deutschen Truppen in Österreich einmarschierte, wurde Herr Fuchs sofort aus der Bank entlassen, obwohl er kurz vor seiner Pensionierung stand.
„Die Erinnerungen an Wien sind nicht so gut. Ich war einmal nach dem Anschluss mit meiner 85-jährigen Omi im Park und Omi saß auf einer Bank. Da kam eine Dame und sagte, dass die Bank nur für Arier sei. Omi stand auf und wir gingen nach Hause.“

Am Weihnachtsabend 1938 kam ein „Blutordensträger“ in das Haus ihrer Familie und zwang sie, binnen 24 Stunden die Wohnung zu verlassen, andernfalls würde ihr Vater verhaftet und ins KZ Dachau deportiert werden. Sie flüchteten zur Großmutter. Ihre alte Wohnung war voll mit Kunstgegenständen, unter anderem auch ein großer Bösendorfer- Konzertflügel, auf dem Susan Klavier spielen gelernt hatte und sie mussten viel zurück lassen. Die Mutter versuchte einige Wertgegenstände, wie Ölbilder und das Klavier zu verkaufen, da sie bereits wusste, dass sie Wien verlassen müssten. „Jemand wollte das Klavier kaufen, aber ich weinte so sehr, dass die Dame es nicht übers Herz brachte, es zu kaufen“, erinnert sich Susan. Ein Nazi übernahm den kleinen Laden der Familie... „Einfach gestohlen! Mit Ware und allem Inhalt!“, schreibt sie.

Susan, die mittlerweile die erste Klasse des Mädchengymnasiums Hietzing besuchte, musste mitten im Schuljahr in die jüdische Schule in der Stumpergasse wechseln. In der Kristallnacht wurde die Schule angezündet und ab diesem Tag gab es keine Schule mehr für sie.
Da sie keine Verwandten im Ausland hatten, die ihnen ein Aviso für die Einwanderung schicken konnten, war es sehr schwer zu emigrieren. Die einzige Möglichkeit bestand darin, nach Shanghai auszuwandern, da man dorthin kein Visum brauchte, doch eine Schiffskarte war ebenfalls schwer zu bekommen. Die Mutter schlich sich in die alte Wohnung zurück, holte zwei kostbare Ölbilder und gab sie einem Travel-Agenten, der ihnen dafür drei Tickets für die „Conte Bianca Mano“ verschaffte. „Für mich war das ein Abenteuer“, erzählt Susan, „doch meine Mutter weinte sehr“.

Die Familie wollte, dass die Großmutter, die eigentlich ihre Großtante war, und eine Tante mit nach China flüchteten. Doch die Tante war Opernsängerin und meinte, sie könne nicht ohne ihr Klavier fahren und so blieben die beiden in Wien zurück. Im März 1941 wurden Tante und Omi nach Lagov in Polen verschleppt, die alte Frau überstand die zehnstündige Fahrt in einem versiegelten Zug. Susan vermutet, dass die beiden in einem polnischen Lager verhungerten. Susan besitzt mehrere, von der Zensur schwarz gestrichene, Postkarten, die sie in China erhielten. „Wir versuchten von Shanghai etwas zu senden, es kam wahrscheinlich nie an. Omi wollte Spiritus zum Kochen.“

Nach Shanghai konnten sie nicht viel mitnehmen, sogar das goldene Halsband ihrer Mutter riss ihr ein Nazi vom Hals, als sie in den Zug einstieg, der sie zum Schiff nach Italien brachte. Sie fuhren von Genua nach Suez, Bombay, Colombo, Singapur und durften während der gesamten Überfahrt nicht ein einziges Mal an Land. Während Susans Eltern verzweifelt waren und nur die ungewisse Zukunft sahen, freute sich das Mädchen von Wien wegzukommen und die Welt zu sehen. „Shanghai war aber furchtbar. Als wir ankamen, erwartete uns ein hölzerner Lastwagen. Die Kulis wollten Geld für den Koffer, mein Vater hatte aber kein chinesisches Geld, gab den Kulis österreichische Schillinge, sie fluchten.“ Sie wurden in das chinesische Viertel gebracht, das im Jahr 1937 von den Japanern bombardiert worden war. Die Familie musste in ein Heim für „refugees“ ziehen, das bei Weitem nicht den damaligen europäischen Verhältnissen entsprach. Tropische Krankheiten, Schmutz, Ungeziefer und Ratten machten ihnen schwer zu schaffen und sie kämpften ums Überleben.

Zehn Jahre wohnten sie in Shanghai, lange Jahre, in denen die Mutter verzweifelt versuchte, Geld zu verdienen. Vieles scheiterte, doch es gelang ihr ein gemietetes Haus zu modernisieren und zu vermieten. Doch auch Susan trug zum Lebensunterhalt bei und begann mit 14 Jahren zu arbeiten. Sie nahm alle Jobs an, die sie kriegen konnte, lief sich die Schuhe löchrig, um Geld zu sparen, fuhr dritter Klasse mit der Bahn und bekam Flecktyphus, Dengue Fieber und starb beinahe. Der Juice, den ihr der japanische Untermieter besorgte, rettete ihr das Leben. Letztendlich mussten sie ins Ghetto ziehen und das Haus mit Toilette und Elektrik verlassen. Aufgrund eines Unfalls kam ihr Vater ins Spital und Susan brachte ihm ein Jahr lang täglich nach der Arbeit seine Mahlzeiten, denn es gab dort kein Essen. Sie bekamen zwar Brot von einer Organisation, doch sie fand darin nicht selten Ungeziefer. Das Ghetto, in dem sie wohnten, war das Zuhause für fast 20 000 Flüchtlinge aus Deutschland, Polen, Österreich, Tschechoslowakei und Ungarn. Ein Japaner war der Capo von allen, er bestimmte, wer einen Pass bekam und das Ghetto verlassen durfte. Wer nicht pünktlich zurück war, kam ins Gefängnis, was einem Todesurteil glich.

Als 1945 der Krieg endete, wollte die Familie Shanghai verlassen, doch wieder war es schwierig ein Land zu finden, das sie aufnahm. Die Eltern wurden 1949 per Schiff nach Wien gebracht, kurz nach ihrer Ankunft erlitt der Vater eine Herzattacke, doch sein sehnlichster Wunsch, in seiner Heimatstadt zu sterben, wurde ihm erfüllt. Susan, die 1946 geheiratet hatte, wollte gerne in Rio de Janeiro arbeiten, bekam aber kein Visum für Brasilien. Als Besucher kamen sie und ihr Mann nach Toronto, wo sie blieben. Auch hier galt „None is too many“, Juden konnten auf legalem Weg nicht ins Land. Erst sieben Jahre später, als sie selbst kanadische Staatsbürgerin geworden war, konnte Susan ihre Mutter zu sich holen. „Ich habe hier sehr schwer gearbeitet, aber ich bin zufrieden,“ schreibt Susan am Ende ihres langen Briefes und diesen Satz fand ich tröstlich.

„Wir sind mein Kind nie mehr zu Hause.
Vergiss das Wort, vergiss das Land,
und mach’ im Herzen eine Pause –
dann gehen wir. Wohin? Unbekannt.“

Dieses Gedicht schrieb Berthold Viertel, ein Jude, der aus Österreich floh, 1937 in Amerika.

Lisa Breit, BRG Pertoldsdorf, 2005

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