Die letzten Zeugen - Das Buc

FRED FRIEDMAN


 
 

FRED FRIEDMAN

(früher Friedmann)
geb. 1926-10-05
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Fred Friedman wurde 1926 als Alfred Friedmann in Salzburg geboren. Er konnte 1938 mit gefälschten Papieren gemeinsam mit seiner Schwester in die Schweiz flüchten, von dort ging es später in die USA. Maximilian Stangl, Aljoscha Alquati, Markus Pirker und Markus Teufl traten mit Fred in Kontakt.

Alfred, du musst jetzt deinen kleinen Koffer packen ...

Auf Einladung der Schülerinnen und Schüler der 4-A Klasse des Gymnasiums St. Johann im Pongau kam Dr. Fred Friedman mit seiner Frau Fay vom Bundesstaat New York nach Salzburg. In der Zeit vom 12. bis zum 18. Mai 2004 führte Herr Friedman viele Gespräche mit Jugendlichen und Erwachsenen.

Ermöglicht wurde dieses Projekt durch die finanzielle Unterstützung seitens der Stadtgemeinde St. Johann/Pg. und des Vereins "Kultur und Schule" vom Land Salzburg.

Alle SchülerInnen der 4 A haben sich im Geschichteunterricht entschlossen, am Projekt  "A Letter To The Stars II" teilzunehmen. Wir, das sind Maximilian Stangl, Markus  Teufl, Markus Pirker und Aljoscha Alquati, suchten aus der Liste der Überlebenden und Nachgeborenen Dr. Fred Friedman als Kontaktperson aus, weil er ein gebürtiger Salzburger ist.

Die persönliche Begegnung zunächst im Kaffeehaus und dann in unserer Klasse hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der jüdische Bub Alfred und seine Familie konnten nur überleben, weil sie immer wieder Helfer hatten, die sie auf ihrer Flucht unterstützten.

1923 übersiedelten seine Eltern Otto und Hildegard Friedmann von Wien nach Salzburg in die Haunspergstraße 25, wo sie ein Wohnhaus kauften. Der Vater war als Holzhändler tätig.

Am 5. Oktober 1926 wurde Alfred Friedmann geboren, vier Jahre später kam seine Schwester Grete auf die Welt. "Ich hatte eine glückliche Kindheit, gerne erinnere ich mich an die Ausflüge in das Salzbergwerk Hallein, auf den Mönchsberg und Gaisberg, in das Salzkammergut, an das Schifahren in Badgastein und an das Eislaufen. Auch die Schulausflüge haben mir gefallen."

In der Volksschule war Alfred Friedmann das einzige jüdische Kind in seiner Klasse, er hatte nichtjüdische Freunde aus der Klasse und der Nachbarschaft, mit denen er zusammen spielte. Später ging er dann in die Realschule.

Da die Familie nicht gläubig war, spielte das jüdische Leben nur an den Feiertagen eine Rolle.

Als Kind spürte er vor 1937 noch keinen    Antisemitismus, ab 1937 fing es an.

Die erste negative Erfahrung hatte Alfred mit einem Lehrer der Realschule. Der Lehrerbund war sehr antisemitisch.

Die Eltern sprachen mit den Kindern vor dem Einmarsch Hitlers nicht über die möglichen Gefahren, der Vater glaubte auch nicht an eine Bedrohung, er war Österreicher, Soldat im 1. Weltkrieg und fühlte sich deshalb sicher.

Im März 1938 marschierten die deutschen Truppen in Salzburg ein, von seinem Fenster aus konnte Alfred die Lastwagen, Panzer und Flugzeuge sehen. Auf allen Gebäuden hingen die Fahnen mit dem Hakenkreuz.

Offiziere der Wehrmacht "liehen" sich den Mercedes seines Vaters aus, brachten ihn jedoch ein paar Tage später wieder zurück.

Seine Eltern hatten einen Freund in der Schweiz, er hieß Albert Falk, der Mann, der sie schließlich gerettet hat. Er erkannte die Gefahr und sagte: "Ihr müsst weg, ihr müsst weg!"

Alfreds Vater wurde von den Nazis eingesperrt, Albert Falk brachte ihn heraus und besorgte ihm ein Visum für eine Geschäftsreise nach Italien, in die Schweiz und nach Frankreich, um das Geld von seinen Kunden zu sammeln. Im Mai verließ der Vater Österreich und kam nicht mehr zurück.

Wegen der Nürnberger Rassengesetze wurde Alfred aus der Realschule geschmissen. Auch die ehemaligen Mitschüler wandten sich gegen ihn. Er und sein jüdischer Freund wurden mit Steinen beworfen, seine ehemaligen Mitschüler kannten ihn außerhalb der Schule nicht mehr.

Die Nonnen im Kloster Nonntal hatten eine kleine Schule für Mädchen und nahmen seine Schwester und die Tochter des Rabbiners gegen das Gesetz auf, was für die Nonnen sehr gefährlich war. Auch die Mitschülerinnen waren zu seiner Schwester sehr nett.

Im Herbst besuchten Alfred, seine Mutter und seine Schwester die Großmutter in Wien, er wusste nicht, dass es ihr Abschiedsbesuch war. Seine Eltern sprachen nie über die Großmütter.

Viele Jahre später, lange nach Kriegsende, fuhr Fred Friedman in das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands nach Wien im Alten Rathaus und fand in den Gestapo-Akten, was aus seinen Großmüttern geworden war.

Die Mutter seiner Mutter starb 1944 in Wien.

Die Mutter seines Vaters wurde nach Theresienstadt deportiert und dort getötet.

Die "Reichskristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 hatte Alfred nicht so wahrgenommen, da er außerhalb der Innenstadt wohnte und ihnen selbst nichts passierte. In anderen Stadtteilen wurden Geschäfte zerstört, Auslagen geplündert, jüdische Männer verhaftet und die Synagoge verwüstet.

"Eines Tages sagte meine Mutter: Alfred, du musst deinen kleinen Koffer einpacken, du gehst auf eine lange Reise und wirst in die Schweiz kommen und dort deinen Vater treffen. Aber du darfst mit niemandem im Zug sprechen." Ende November 1938 fuhren Alfred, seine Schwester und seine Mutter mit dem Zug nach Freiburg.

Dort übernachteten sie bei einem Universitätsprofessor, der vielen Flüchtlingen half und geholfen hatte. Desssen Sohn war im selben Alter wie Alfred und war bei der HJ, der Hitlerjugend. Beim Abschied sagte er: "Einmal können wir Freunde sein." Herr Friedman weiß nicht, was mit diesem Jungen und seinem Vater passiert ist.

Alfred und seine Schwester wurden dann einer Frau aus Basel übergeben. Sie hatte einen gefälschten Pass, in dem die Geschwister Friedmann als ihre eigenen Kinder eingetragen waren. Das alles hatte Herr Falk arrangiert.

Die Mutter verabschiedete sich, die Kinder fuhren mit der Schweizer Frau zum Rhein, stiegen aus dem Auto und versuchten auf einer Brücke den Rhein zu überqueren. Ein Wehrmachtssoldat kam ihnen entgegen, nahm den Pass und fragte: "Wer sind diese Kinder?" Die Frau antwortete: "Das sind meine Kinder." Der Soldat sagte darauf:  "Das stimmt nicht, ich kenne die zwei, das sind die Friedmanns aus Salzburg, das sind Juden. Ich war früher in Salzburg."

Und dann die entscheidenden Worte: "Ihr könnt dort hinübergehen."

 Das war ein großes Risiko für ihn, wenn er erwischt worden wäre, wäre er sofort getötet worden. Alfred und seine Schwester wären ins Konzentrationslager geschickt worden. Herr Friedman konnte den Mann nie finden. "Er war mein Held des Zweiten Weltkrieges."

Von dort kamen sie in die Schweiz zu ihrem Vater, den sie in Basel trafen.

Die Schweizer Regierung war zu den jüdischen Flüchtlingen sehr unfreundlich. Sie ersuchte die Reichsbehörde, ein "J" in die Pässe der Juden zu stempeln, damit sie an der Grenze  zurückgeschickt werden konnten.

Die Flüchtlinge mussten immer von einem Kanton zum anderen wechseln. Ein Polizeikommissar rief Alfreds Vater in sein Büro und stellte ihn zur Rede, weil er gegen seinen Befehl die  Kinder in die Schweiz hatte bringen lassen. Alfreds Vater sagte darauf, dass er einen höheren Befehl befolgte, denn "als Vater muss ich meine Kinder beschützen."

In Basel ging Alfred in die Schule und erlebte sehr viel Ablehnung, Ausländerhass und Religionshass. Kurze Zeit später fuhren sie nach Graubünden und Alfred besuchte dort eine kleine einklassige Schule. Die Kinder, meistens Bauernkinder, waren ganz anders, Alfred fühlte sich bei ihnen wohl.

Alfreds Mutter lebte allein in der Wohnung in Salzburg. Mehrmals erhielt sie Anrufe von der SS und der Gestapo, aus der Wohnung  wegzuziehen.

Dann schrieb der Leiter der Polizei einen Brief: "Sie müssen sofort die Wohnung verlassen, sonst wird etwas passieren." Frau Friedmann zog zu Frau Fürst, einer jüdischen Freundin in der Linzergasse. Später erfuhr Herr Friedman, dass der Briefschreiber, Otto Begus, für die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuss verantwortlich war. Er übernahm ihre Wohnung in der Haunspergstraße. Nun half erneut Albert Falk, durch Kontakte in Vorarlberg und St. Gallen arrangierte er, Frau Friedman über die Grenze in die Schweiz zu bringen.

Der Polizeikommandant von St. Gallen, Paul Grüninger, nahm trotz der Grenzsperre der Schweiz Hunderte Juden auf, auch Alfreds Mutter wurde durch ihn gerettet. Aber schon 1939 wurde er von der Regierung fristlos entlassen und wegen Amtspflichtverletzung und Urkundenfälschung verurteilt. Er wurde vergessen und lebte bis zu seinem Tod in Armut. Erst in den 90er-Jahren wurde Paul Grüninger politisch und juristisch rehabilitiert.

Alfreds Mutter und andere Menschen aus New York setzten sich dafür ein, etwas für Paul Grüninger zu tun. Alfred und seine Schwester haben auch Kontakt mit der Tochter von Paul Grüninger aufgenommen.

Nachdem Alfreds Vater ein Visum für Frankreich erhalten hatte, verließ die wieder vereinte Familie die Schweiz. Zuerst zogen sie nach Muehlhausen im Elsaß, kurze Zeit später in die  östliche Stadt Besancon. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 wurden in Frankreich alle Männer über 18, die von Deutschland oder Österreich kamen, als Feinde eingesperrt. Hier wurde kein Unterschied zwischen Nazi und Jude gemacht.

Alfreds Vater wurde  in den Pyrenäen an der spanischen Grenze einige Monate gefangen gehalten. Erst durch Herumfragen konnte die Mutter seinen Aufenthalt ausfindig machen und dann warme Kleidung und Essen schicken.

1940 wurde Frankreich im nördlichen Teil von deutschen Truppen besetzt, im südlichen Teil setzte General Petain in Vichy eine nazi-freundliche und faschistische Regierung ein, die auch mithalf, Juden dem Deutschen Reich auszuliefern.

Da die Mutter und die Kinder nicht viel zu essen hatten, fuhr Alfred mit dem Fahrrad zu den Bauern, um Gemüse, Käse und Kartoffeln zu kaufen. Einmal, als er mit einem gefüllten Korb zurück radelte, wurde er von deutschen Offizieren gestoppt und gefragt: "Wer bist du? Wo fährst du hin?" Alfred antwortete sehr sorgfältig auf Französisch, dass er sie nicht verstehe, weil er nicht Deutsch spreche. Das war ein geistesgegenwärtiger Akt und sie ließen ihn weiterradeln.

Endlich kam der Vater wieder nach Hause. Schließlich wurde doch ein Unterschied zwischen einem jüdischen und einem natio-nalsozialistischen Häftling gemacht.

Herr Friedmann erhielt vom US-Konsulat in Marseille ein Visum für die Einreise in die  USA und ein Visum für die Reise durch Spanien und Portugal. Auf der Durchreise kamen sie nach Madrid, wo sie die furchtbaren Zerstörungen durch den Bürgerkrieg sahen.

In Lissabon konnten sie nicht zusammen auf einem Schiff die Überfahrt antreten. In der ersten Woche fuhr Alfred mit seinem Vater weg, in der darauf folgenden die Mutter mit der Schwester. Es waren die zwei letzten Schiffe, die nach Amerika kamen. Jeder Platz im Schiff wurde für Flüchtlinge verwendet. Auf der Fahrt hatten sie Angst wegen der deutschen U-Boote.

Schließlich kamen sie 1941 in New Jersey an und wurden von Verwandten abgeholt. Alfred war enorm von den Wolkenkratzern New Yorks beeindruckt. Nachdem auch die Mutter mit der Schwester eingetroffen war, fuhren sie gemeinsam zu ihren Verwandten in die Berge, die für sie ein kleines Haus mieteten.

Dort besuchte Alfred die Schule. Es gab keine Aufgaben und es wurde so viel in der Klasse gespielt, dass Alfred glaubte, es wäre etwas zwischen Ferien und Schule. Die Mitschüler waren sehr freundlich und Alfred hatte gute Noten. Sein liebstes Fach war die amerikanische Geschichte, im dritten Jahr war er die Nummer eins.

Aber in den USA gab es auch viel Fremdenfeindlichkeit, die Alfred in den ersten Jahren persönlich zu spüren bekam. "Wir mussten unser Radio in die Werkstatt bringen, damit man keine ausländischen Sender empfangen konnte. Man konnte nicht Deutsch auf der Straße sprechen. Es gab eine schreckliche Deutschfeindlichkeit. Das war verrückt."

In den Medien wurde sehr wenig über den Kriegszustand in Europa berichtet. Über die Vernichtungslager erfuhr Herr Friedman erst etwas gegen Ende des Krieges.

Im Februar 1945 kam Alfred zum Militär. Im ersten Urlaub kehrte er sehr stolz in seiner neuen Uniform nach Hause zurück und ging mit seinen Eltern in ein Restaurant. Sein Vater hatte noch Schwierigkeiten mit Englisch, daher flüsterten sie in Deutsch. Am nächsten Tisch drehte sich eine Frau um und erklärte sehr laut, man soll alle Ausländer zurückschicken. "Daraufhin drehte ich mich um und sagte ebenso sehr laut: Und ich bin gut genug, für Sie zu sterben."

In der Armee bat Alfred mehrmals darum, nach Europa geschickt zu werden, um bei der Befreiung von Deutschland und Österreich mitzuhelfen. Leider hatte der Hauptmann dafür überhaupt kein Verständnis. Zuerst war Alfred Infanterist, später arbeitete er im Lazarett. Es herrschte strikte Rassentrennung, sie waren absolut getrennt in weiße und schwarze Soldaten.

Nach dem Militärdienst erhielt Alfred am  12. April 1945 als Fred Friedman die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Die meisten Leute waren nach dem Krieg an der Vergangenheit überhaupt nicht interessiert, seine Eltern sprachen auch nicht darüber.

Erst mit den Recherchen über seine Groß-mütter in den 80er-Jahren setzte seine eigene Auseinandersetzung damit ein.

Der Verlust seiner Salzburger Heimat tat weh, aber Fred Friedman studierte, wurde Anwalt, gründete eine eigene Familie und blieb daher in den USA.

Zum ersten Mal kam Herr Friedman in den 60er Jahren nach Salzburg, er suchte in der Stadt die Plätze seiner Kindheit auf und erkannte viele Gebäude wieder. Fred Friedman kehrt nun immer sehr gerne nach Salzburg und Österreich zurück, er möchte die Lücke seiner Kindheit füllen.

Die Friedmann-Wohnung in der Haunspergstraße hatte während der Zeit des Nationalsozialismus Otto Begus übernommen. Dieser verschwand 1945, in die Wohnung zog dann die tschechische Schauspielerin Lida Baarova, die von 1934 bis '38 die Geliebte des Propagandaministers Joseph Goebbels war und bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 dort lebte.

Wegen des Soldaten am Rhein hat Herr Friedman immer zwischen Nationalsozialisten und den anderen Deutschen und Österreichern unterschieden, denn ohne sie hätte er nicht überlebt.

Maximilian Stangl, Aljoscha Alquati, Markus Pirker, Markus Teufl, unterstützt von den SchülerInnen der 4 A-Klasse des Gymnasiums St.Johann/Pg.


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