Die letzten Zeugen - Das Buc

SYLVIA EMMY CHERNY


 
 

SYLVIA EMMY
CHERNY

(früher Mahler)
geb. 1924-12-31
lebt heute in Australien

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Im Kindertransport von Wieselburg nach Paris und New York

Sylvia Mahler wurde am 31. Dezember 1924 in Wien geboren. Ihr Bruder Gerhard kam vier Jahre später zur Welt. Zusammen konnten die Geschwister mit einem Kindertransport nach Frankreich flüchten. 1941 ging ihre Flucht weiter in die USA und später nach Australien.

Unser Projekt der Aussöhnung beginnt langsam auch in unseren Verwandten- und Freundeskreisen immer mehr Interesse zu finden. So erinnern sich Schülergroßmütter wieder an ihre früheren jüdischen Mitschüler und Spielkameraden und versuchen, alte Kontakte wieder aufzunehmen.
Aus einem Schulprojekt des Bundesgymnasiums Wieselburg aus dem Bedenkjahr 1988 steht uns der Briefwechsel mit einigen Überlebenden aus Wieselburger jüdischen Familien zur Verfügung. Darunter ist ein Brief von Sylvia Cherny, geb. Mahler, die damals aus ihrer neuen Heimat Australien geantwortet hat. Wir versuchen nun, 15 Jahre später, Sylvia Cherny unter derselben australischen Adresse wiederzufinden – und wir haben Glück: Sylvia Cherny lebt und sie antwortet.

Sie ist die gesamte Zeit über – bis kurz vor dem Eintreffen unseres Briefes – mit einer alten Schulfreundin in Wieselburg in Verbindung gestanden, von der sie zuletzt keine Antwort mehr erhalten hat. Wir müssen ihr leider vom tragischen Tod dieser Freundin berichten und übermittelten deren Sterbebildchen.
Sylvia Cherny verspricht, unser Projekt zu unterstützen: „Es ist eine lohnende Aufgabe, dass ihr Schüler es übernommen habt, der Opfer eines furchtbaren Kapitels der österreichischen Geschichte zu gedenken.“
Sylvia Cherny vermittelt uns einen Kontakt zu ihrem Bruder Gerald Watkins (geboren als Gerhard Mahler, Watkins war der Name seines Stiefvaters) in Kalifornien, der uns wiederum eine Kontaktaufnahme mit Paul Peter Porges in New York empfiehlt. Aus unserem Briefwechsel mit Frau Cherny und Herrn Watkins entsteht der Plan eines Besuches der beiden Geschwister in Wieselburg, wo sie seit 1938 nicht mehr gemeinsam gewesen sind.

Im September 2003 kommt es tatsächlich zum Zusammentreffen der Geschwister in ihrer früheren Heimat – das wir durch unsere Arbeit initiiert und möglich gemacht haben. Sylvia Cherny und Gerald Watkins besuchen unsere Schule, bewundern unsere Projektaussstellung und sind zu einem offiziellen Empfang beim Wieselburger Bürgermeister Mag. Leichtfried mit einem gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Der ganz besondere Wunsch unserer Gäste ist es dann, ihr früheres Wohnhaus wieder zu besuchen.
Dieses Haus dient heute – ohne dass sich die Anordnung der Räume verändert hat – der Firma Zizala als Direktionsgebäude. Deren Geschäftsführer Mag. Schuhleitner bewirtet unsere Gäste im Besprechungszimmer des Unternehmens – dieser Raum war das Wohnzimmer der Familie Mahler. Von diesem Treffen in den Räumen ihrer Kindheit in der alten Heimat sind die Geschwister besonders berührt und sie halten ihre starken Eindrücke noch vor ihrer Abreise aus Wien brieflich fest. Frau Cherny schickt uns später ein Foto vom Aquarellbild ihres Elternhauses.

Unsere „Schätze“, die wir inzwischen zur Familie Mahler angesammelt haben, stammen aus mehreren Quellen: von George Wozasek, dem Cousin der beiden Mahler-Nachkommen. Er ist der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Linz und hat uns Bilder zur Familien- und Firmengeschichte der Mahlers übergeben. Die Industriellenfamilien Gebrüder Mahler waren in der Papierbranche tätig, hatten Standorte in der Nähe von St.Pölten, in Traun und Wieselburg und erzeugten Spezialpapiere. Aus dem Jahr 1931 gibt es ein Firmenjubiläumsbuch. Ebenfalls aus den frühen 30er-Jahren exisitiert ein Belegschaftsfoto mit dem Wieselburger Fimenchef Ing. Robert Mahler, Sylvias und Gerhards Vater. Zum Betrieb gehörte damals auch eine Landwirtschaft, in der die Eltern einer Wieselburgerin tätig waren, die uns schon viele alte Fotos zur Verfügung gestellt hat und darauf fast alle abgebildeten Personen namentlich erkennt (z. B. mehr als 60 Personen auf dem Belegschaftsbild).

Die Nachschau im Grundbuch ergibt, dass der Firmenstandort Wieselburg nicht arisiert, sondern unter „kommissarische Verwaltung“ gestellt worden war, daher konnte der  allerdings völlig „ausgeräumte“ – Firmenstandort nach dem Kriegsende restituiert werden und wurde später verkauft. In unserem Projekt steht freilich die Familiengeschichte im Vordergrund.

Die Eltern von Sylvia und Gerhard, Ing. Robert und Margarete Mahler, geb. Guttmann, waren schon seit den frühen 30er-Jahren geschieden. Die Kinder lebten beim Vater in Wieselburg und wurden von Frau Ilse Hübner betreut, zu der sie auch später noch lange Kontakt hielten. Im Herbst 1934 war Robert Mahler Ehrengast bei der Eröffnung des Francisco-Josephinums, das aus Mödling in das Schloss Weinzierl verlegt worden war. Sylvias Wunsch war es, nach der Hauptschule selbst diese Schule zu besuchen (das war dann 1938 völlig ausgeschlossen...).

Unsere Frage nach der religiösen Einstellung beantwortet Sylvia Cherny so: „Da es keinen jüdischen religiösen Unterricht in Wieselburg gab, musste ich in der Klasse sitzen und zuhören, während die anderen Kinder ihren katholischen Religionsunterricht hatten. Die Lehrer stellten für gewöhnlich fest, dass die Juden für den Tod von Christus verantwortlich seien, worauf sich alle umdrehten und mich anschauten. Eine sehr unangenehme Erfahrung. Herr Fried ist deshalb einmal pro Woche auf seinem Fahrrad zu uns nach Hause gekommen, um uns religiös zu unterrichten.“
Wir stellen weitere Fragen nach Lebensstil und Familiengewohnheiten und erfahren vom großen musikalischen Talent und Interesse Robert Mahlers. „Mein Vater ... war sehr begabt, er hat gesungen, Violine gespielt und als Hobby auch gemalt.“ Wöchentlich fanden Kammermusikabende statt, an denen Wieselburger Musiker mitwirkten, z. B. auch der frühere Musiklehrer im Schloss Weinzierl und Kirchenchorleiter Max Hazuka.

Weil Robert Mahler unmittelbar mit der KZ-Haft in Dachau bedroht war, nahm er sich bereits am 17. März 1938, also nur eine Woche nach dem „Anschluss“ an Deutschland, das Leben. „Mein Vater hat erfahren, dass er am nächsten Morgen von der Gestapo abgeholt wird, er hat sich in der Nacht erhängt“, sagt Gerald Watkins. Gerald Watkins, am 29. Februar 1928 als Gerhard Mahler geboren, war damals gerade 11 Jahre alt geworden, Schwester Sylvia 14. Die Mutter war gerade mit ihrem zweiten Mann am Sprung zur Ausreise nach Australien. Also blieben die Kinder beim Kinderfräulein Elisabeth Hübner. „Sie hat sich liebevollst um uns gekümmert“.
Auch als das Geld ausging, nachdem der Familie der gesamte Besitz weggenommen worden war. Dem „Fräulein Hübner“ verdankt der heute 76-jährige Gerald Watkins, „dass ich nicht hassen muss: Es waren viele, die Furchtbares getan haben, sehr viele. Aber es gab auch Österreicher während der Nazi-Zeit, die das Herz am rechten Fleck trugen.“ Sylvia und Gerhard konnten einen Platz auf einem Rothschild-Kindertransport bekommen. „Ich weiß heute noch nicht, warum gerade meine Schwester und ich für einen Kindertransport ausgewählt wurden. Jedenfalls konnten wir im März 1939 das Land verlassen.“

Eine Überlebens-Reise quer über den Erdball. Die Kinder schafften es zusammen mit Georg(e) Wozasek und auch mit Paul Peter Porges in die Nähe von Paris, in ein Jagdschloß
der Rothschilds, wo 130 Kinder aufgenommen wurden. Dann ging es im letzten Moment vor den näher rückenden Deutschen nach La Bourboule im Süd-Frankreich des Vichy-Regimes. 1941 gelang es ihren Verwandten (Großmutter Lore Mahler und Familie Wozasek), Sylvia und Gerhard über Spanien und Portugal nach New York zu bringen – zu Onkel und Tante. „Die hatten aber überhaupt kein Geld und wir waren ihnen eine riesige finanzielle Last.“

„Meine Mutter wollte uns natürlich nach Australien holen, erhielt aber kein Permit.“ Denn seit September 1939 war Australien im Krieg mit Deutschland. Und die beiden Kinder aus Wien aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft so genannte „enemy aliens“, feindliche Ausländer. „Mein Stiefvater, er hieß Peter Weinfeld und hat seinen Namen in Watkins geändert, erhielt dann endlich einen Termin beim australischen Minister für Einwanderungsfragen, der sein Placet gab.“

Im Herbst 1941 durchquerten Gerhard und Sylvia mit dem Zug die USA und landeten auf einem Schiff von San Francisco nach Sydney. Es war das letzte zivile Schiff. Kurze Zeit später waren Pearl Harbour und der Kriegseintritt der USA. „Das Schwesterschiff musste umkehren und wurde in einen Truppentransporter umgewandelt.“ Endlich gelangten sie zu ihrer Mutter nach Australien, die schon 1938 mit ihrem Mann Peter Weinfeld nach Melbourne ausgewandert war. Sylvia war bereits 17, musste Geld verdienen, arbeitete in einer Konservenfabrik, als Zahnarztassistentin und als Stewardess. Gerald, 13, durfte die Schule besuchen und studierte anschließend Wirtschaft und Handel.
Das Reisen ist ihm geblieben – er wurde australischer Handelsattaché, und das „am halben Globus“. Eine Station war auch Wien, wo er von 1971 bis 1975 als „Counsellor of the Australian Embassy“, zuständig für ganz Osteuropa, tätig war. Im kommunistischen Osten erkannte Gerald Watkins dann eine „menschliche Ureigenart: Jemand, der in einem solchen System aufwächst und etwas werden möchte, also Ambitionen hat, der muss Parteimitglied werden. Ich denke, so ähnlich war am Beginn auch die Situation im nationalsozialistischen Österreich.“

Sylvia blieb in Australien und heiratete Rudi Cherny.
Gerald Watkins lebt heute mit seinen beiden Söhnen und seiner zweiten Frau in Kalifornien.

Schülerinnen und Schüler der HLWBLA Wieselburg

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