Die letzten Zeugen - Das Buc

ANGELICA BäUMER


 
 

ANGELICA
BäUMER

(früher Bäumer)
geb. 1932-01-15
lebt heute in Österreich


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Marie-Theres Fehringer recherchierte gemeinsam mit Monika Jozsa und Georg Traxlmayer die Lebensgeschichte der U-Boot-Überlebenden Angelica Bäumer.

Ich ging hoch aufgerichtet durch den Hass, da wurde ich Jüdin

Angelica Bäumer wurde 1932 in Frankfurt/ Main geboren. Sie flüchtete mit ihrer Mutter, gaben sich als "Ausgebombte aus Wien" aus und überlebten als U-Boote in einer Pfarre in Großarl.

„Im Herbst 1938 kam ich in die Klosterschule Salzburg/Nonnberg, die aber von den Nazis sehr bald geschlossen wurde. Wir Kinder mussten nun in die öffentliche Volksschule gehen – was mir wie eine Strafe erschien für etwas, das ich nicht getan hatte.

Ich war zum ersten Mal in meinem jungen Leben mit einer Härte konfrontiert, gegen die ich mit Schweigen und Zurückziehen antwortete. Meine Eltern hatten ein großes Haus geführt mit Personal und vielen Gästen. Meine Mutter, eine Wiener Jüdin, war stille Teilhaberin einer Lebensmittelfabrik, die ihr Bruder Robert gegründet hatte. 1938 war der Bruder von der Gestapo verhaftet und das Familienvermögen beschlagnahmt worden. Unsere fast ein wenig zu großbürgerliche Idylle war plötzlich zerstört. Aus der großen Wohnung zogen wir in ein Zimmer. Die Küche lag im Erdgeschoß und war nur über den Hof zu erreichen. Ein winziger Raum diente als Badezimmer, ein Klo gab es im kalten Stiegenhaus.

Wir, das waren meine Mutter Valerie, mein Vater Eduard, mein 1935 geborener Bruder Michael und ich, die 1932 geborene Angelica. Das Haus gehörte Magda und Alois Grasmayr und ihre Lebensprobleme waren den unseren sehr ähnlich: Magda, eine geborene Mautner-Markhof, war auch nicht arisch genug, und Alois war aufgrund seiner ausgeprägten Individualität und hohen Bildung – er war Faust-Forscher – von vornherein ein entschiedener Nazigegner. So hatten die Grasmayrs Verständnis für die Probleme der Bäumers und es war möglich, im Haus wohnen zu bleiben. Wertvolle Möbel, Teppiche und Schmuck konnten im Laufe der Zeit verkauft werden, aber der großzügige Lebensstil war zu Ende.

Es war 1938 nicht so einfach plötzlich arm zu sein wie beispielsweise nach dem Krieg. Da waren alle arm, hatten Hab und Gut, Ehemänner oder Söhne verloren, hatten keine Arbeit oder waren ausgebombt. Aber 1938 war nach außen hin der große Aufbruch, es ging auf einmal Leuten gut, die am Revers ein kleines rundes Emailschildchen trugen mit dem Hakenkreuz, das sie auswies als einen Parteigenossen oder auch nur als einen Opportunisten, als einen aber, mit dem man nun rechnen musste im politischen, wirtschaftlichen und privaten Leben.

Sie waren wer, sie bestimmten Gruß oder Verachtung. Sie waren es auch, die die Biedermeier-Möbel und die Perserteppiche der Bäumers kauften, die Kunstsammlung der Grasmayrs und den Schmuck der – jüdischen – Damen, die nun keine mehr waren. Mein Vater stammte aus dem Hunsrück, seine Familie besaß dort seit Generationen eine Papiermühle, die Eltern starben aber früh, sodass mein Vater und eine seiner Schwestern im jüdischen Waisenhaus in Frankfurt aufwuchsen. Mein Vater studierte an der Kunstschule Städel Malerei, wo er auch meine Mutter kennen lernte. Sie war 1916 mit ihren Eltern von Wien nach Frankfurt übersiedelt. Ihr Vater hatte seinen Wiener Besitz, wie so viele patriotische Juden, als Kriegsanleihe verkauft und nachdem alles verloren war, zog er mit seiner Familie nach Frankfurt. Mein Vater misstraute den Nazis von Anfang an.
Vielleicht nur deshalb, weil sie die moderne Kunst verfolgten, die er liebte. Aber er hatte auch schon verstanden, was sie mit ihren Parolen vom Weltjudentum meinten, wenn er auch sicherlich nicht vorhersah, was ihnen an Vernichtendem und Mörderischem einfallen würde. Seine dunklen Ahnungen veranlassten ihn jedenfalls 1933 mit Frau und Tochter von Deutschland wegzugehen. Er wäre gerne nach Paris gegangen, aus Rücksicht auf seine österreichische Frau ging er nach Salzburg. Um später noch einmal zu fliehen, fehlte das Geld.

Im Januar 1942 wurde ich zehn Jahre alt. Mit dem Eintritt ins Gymnasium kam auch der zwangsweise, „freiwillige“ Eintritt in die Hitlerjugend. Mein erster Besuch in der Baracke für die Jungmädchen im Mirabellgarten war von mir eigentlich mit Spannung erwartet worden: Es hieß, der Führer schenke den Mädchen einen Puppenwagen – mein großer Traum. Meine Eltern, die meine vertrauensselige Art kannten, mit Menschen, auch mit Fremden, zu reden, hatten sich gehütet, auch nur ein offenes Wort über die Nazis zu sagen. Alle kritischen Beobachtungen kamen also von mir selbst, auch über dieses erste Jungmädchentreffen. Ein deutsches Mädchen in BDM-Uniform hielt einen Vortrag, wobei sie die Biographien der Nazigrößen erzählte und das war für mich, als an Literatur, Märchen, Kunst gewöhntes Kind so kitschig, verlogen, aufdringlich und peinlich, dass ich zuhause kategorisch erklärt: „da gehe ich nie mehr hin“. Außerdem gab es keinen Puppenwagen. Es war das erste Mal, dass meine Mutter von mir etwas verlangte: „Du musst dort hingehen, sonst gefährdest du uns alle.“ Ich verstand nur die Sorge meiner Mutter, nicht den Sinn.

Es war auch 1942, als ein Pfarrer aus Weissbach bei Lofer nach Salzburg kam, weil er einen Künstler suchte, der in seiner Wallfahrtskirche ein neues Deckenbild malen sollte. Für ein Vergelt’s Gott. Niemand wollte umsonst diese Aufgabe übernehmen – außer mein Vater. Es sollte ein Heiliger Geist werden. Ganz in der barocken Tradition. Mein Vater wollte nicht mit „moderner“ Kunst provozieren. Wir wohnten im Pfarrhof, blieben den Sommer über, und mein Vater malte, auf dem Gerüst liegend, den Heiligen Geist. Ich half, indem ich Farben rührte und Pinsel auswusch. Abends saßen wir am großen Bauerntisch, aßen alle aus einer Schüssel und als der Pfarrer die Sorgen meines Vaters erfahren hatte, meinte er: „Dann kommen sie einfach alle zu mir.“ Meinem sehr um Assimilation bemühten Onkel Robert in Wien wurde klar, dass die Taufe nicht vor Verfolgung schützen würde und dass die Nazis alles Jüdische zu vernichten gewillt waren. So gab er sehr viel Geld, damit in der kleinen Gemeinde in der Nähe von Karlsbad jene Seite im Matrikelbuch vernichtet wurde, auf der die Geburt meines Großvaters verzeichnet war. Seine jüdische Herkunft war somit nicht mehr nachzuweisen. Diese Notlüge machte aus Volljuden Halbjuden. Auch konnten mit Roberts Geld aus dieser Gemeinde einige Juden fliehen. Es war 1943, als ein Bruder meiner Großmutter, der offenbar von diesem „Kauf“ erfahren hatte, seine Verwandtschaft bei der Gestapo denunzierte.

Dieser Onkel meiner Mutter wurde daraufhin Ehrenarier und erhielt die Fabrik. Nach dem Krieg war es für meinen Onkel sehr schwierig, diese Denunziation nachzuweisen, denn da war der „Ehrenarier“ natürlich bereits wieder „Jude“ und behauptete, er habe die Firma gerettet – und verstand nicht, dass er sich schuldig gemacht hatte am Tod vieler Verwandter und am Leid derer, die ins KZ oder in den Untergrund gehen mussten. Erst 1952 konnten durch unglaubliche Glücksumstände die Beweise gefunden und die Firma dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden. 1943 war auch das Jahr des Himmler-Erlasses. So kamen zwei Unheile zusammen.

Meine Großmutter, die in Frankfurt lebte, wurde nach Theresienstadt deportiert. Meine Mutter musste sich täglich bei der Gestapo melden. Und meinem Vater wurde nahegelegt, sich von der Jüdin scheiden zu lassen. Ich ging noch ins Gymnasium, ich ahnte zwar, dass wir in Gefahr waren, wusste aber immer noch nicht weswegen.

1944 ging eines Tages mitten im Unterricht die Türe auf und herein kamen zwei Gestapomänner. Sie grüßten das übliche „Heil Hitler“, dann schrie der eine: „Der Bastard Bäumer soll mitkommen.“

Ich verstand sofort, packte meine Schulsachen und ging zur Türe. Die zwei schrien wieder ihr „Heil Hitler“, die Lehrerin starrte entsetzt und war zu keiner Reaktion fähig (sie kam dann am Nachmittag zu uns auf den Mönchsberg und weinte fassungslos), die zwei nahmen mich in die Mitte und führten mich brutal durch die langen Gänge. Und als hätte die ganze Schule darauf gewartet, kamen aus allen Türen die Schüler- Innen, liefen hinter und neben uns her, schrieen und johlten: „Bastard, Saujud ...“ Ich hatte keine Wahl, ich streckte mich und ging hochaufgerichtet durch den Hass. In diesem Moment wurde ich Jüdin. Auf der Straße ließen die Kerle mich los. Ich lief nach Hause. Und jetzt fragte ich meine Eltern und jetzt sagten sie mir, was mit uns los ist.

Und noch eine Entscheidung fiel an diesem Schulmorgen: Jetzt, wo ich die Wahrheit kannte und die Hilflosigkeit meiner Eltern sah, übernahm ich die Verantwortung für meine Familie. Ich war gerade 12 Jahre alt. Es kam Schlag auf Schlag. Mein Vater erhielt Zwangsarbeit. Er kam nach Salzburg/Lehen zur Firma „Stockinger und Reinthaler“, wo vor allem russische Kriegsgefangene schufteten. Meine Mutter wurde ebenfalls zu Zwangsarbeit verpflichtet, sie musste wöchentlich sieben Kinderjäckchen fürs NS-Winterhilfswerk stricken. Sie schaffte höchstens zwei und auch das nur, wenn ich mithalf. Also stahl sie beim Abliefern immer ein paar Jäckchen, die sie dann das nächste Mal ablieferte. Unserer Salzburger Freunde von früher spalteten sich in die, die „mit Juden nicht sprechen“ und die anderen, die uns zum Teil ganz praktisch halfen und unterstützten. So wurden wir fast jeden Sonntag irgendwo zum Essen eingeladen, bei der Bildhauerin und Weberin Anny Malata zum Beispiel oder bei der Familie des Lungenfacharztes Rudolf Peyrer-Heimstätt. Unglaublich aber waren einige Geschäftsleute, Mayreder, Zadra und Meierleitner, sie alle ließen meine Mutter einkaufen und „schrieben auf“. Zwei, drei Jahre lang. Mayreders und Zadras haben hin und wieder ein Bild von meinem Vater gekauft, das heißt, sie strichen ein paar Monate Schulden.  Keiner hat je gemahnt. Jeder aber wusste, dass er Juden half und sich damit selbst gefährdete.

Es muss Ende 1943 oder Anfang 1944 gewesen sein, da wurde es wirklich ernst. Wir bekamen auf unsere Ausweise ein dickes „J“ gestempelt, erhielten weniger Lebensmittelmarken und durften nicht in die Luftschutzbunker, die in den Mönchsberg gesprengt worden waren. Mein Vater hatte bereits mit Pfarrer Linsinger gesprochen, der inzwischen nach Großarl versetzt worden war. Er stand zu seinem Wort und als die ersten Bomben auf Salzburg fielen, brachte meine Mutter die 1940 geborene Bettina nach Großarl, wo die Kaisermama, wie die Pfarrköchin genannt wurde, rührend für meine kleine Schwester sorgte.

Eines Nachts kam der Freund Rudolf Peyrer- Heimstätt in höchster Eile zu uns, weckte uns und drängte, sofort zu fliehen. Wir nahmen so gut wie nichts mit. Keine Dokumente, unsere Ausweise mit dem „J“ verbrannten wir noch schnell, nur ein wenig Kleidung und Essen packten wir ein und ich trug meinen Kanarienvogel Hansi. So zogen wir vom Mönchsberg los. In einer unfreundlichen kalten Nacht um drei Uhr früh mit wenig Gepäck und doch furchtbar beladen. Mein Bruder war wie eine stumme kleine Maschine. Er begriff das alles nicht, aber er war tapfer und ging ohne Klagen an der Hand der Mutter. Der Hauptbahnhof war bereits bombardiert, Dr. Peyrer wusste aber, dass ein Flüchtlingszug in Salzburg/Aigen stand, den galt es zu erreichen. Er begleitete uns und erzählte in aller Eile: Er war als Arzt im Führerstollen eingeteilt und hatte dabei erfahren, dass eine Großrazzia und die Deportation der letzten Juden und Volksschädlinge vorgesehen waren. Es fielen auch Namen, unserer war darunter. Wir erreichten den Zug. Irgendwie kamen wir hinein, obwohl er total überfüllt war. Nach langem Warten fuhr er auch ab. Auf der Strecke blieb er immer wieder stehen, einmal mussten wir alle aussteigen, angeblich kam ein Tieffliegerangriff, dann ging es wieder weiter und bei jedem Stehenbleiben kroch die Angst in uns hoch, jetzt kommt die SS oder die Gestapo, holt uns raus, erschießt uns – es waren immer wieder Schüsse zu hören. Nach vielen Stunden kamen wir nach St. Johann/Pongau.

Es war schon wieder früher Morgen und sehr kalt. Vorsichtig umgingen wir den Ort, um nicht aufzufallen mit unserem merkwürdigen Gepäck. Wir hatten alles in eine Tuchent eingepackt, wie die „Pinkeljuden“ fanden meine Mutter und ich – das erheiterte uns in aller Not. Erst nach Umwegen kamen wir auf die Straße nach Großarl und nie waren die 16 Kilometer so lang und anstrengend. Mein Bruder war stumm vor Überanstrengung und Müdigkeit, er war ja erst neun Jahre alt. Großarl war ein Nazinest, alle hätten uns und den Pfarrer sofort denunziert. Also entschieden wir uns, „Ausgebombte aus Wien“ zu sein. Das erklärte auch, warum wir keine Papiere hatten. Aber in die Schule mussten mein Bruder und ich gehen. Wir gingen sogar sehr gerne in diese einklassige Schule, in der nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wurde, sondern ein sehr musikalischer Lehrer mit uns musizierte.

Schwieriger war es, ohne Lebensmittelmarken und ohne Geld zu leben. So gut es ging, versuchte jeder auf seine Weise etwas zu arbeiten. Meine Mutter half den kinderreichen Bäuerinnen in Haus und Garten, dafür bekam sie Mehl, Wolle, ein paar Gläser Marmelade oder Gemüse. Wir gingen in den Wald und pflückten Beeren und Schwammerl.

Ich machte mich in der Meierei der Pfarre nützlich, die von einer furchtbar hässlichen, bösartigen, alten Bäuerin geführt wurde – ich wurde ihre Magd. Stunden vor der Schule stand ich auf, ging in den Stall, mistete aus, gab den Tieren Futter und molk die Kühe. Am Nachmittag wurde in alten Holzgefäßen gebuttert. Ich brauchte Stunden, bis aus dem Rahm Butter wurde. Das Pfarrhaus grenzte auf der einen Seite an den kleinen Friedhof. Ich liebte Friedhöfe. Und der von Großarl war besonders verwildert. So fing ich an Unkraut zu jäten und die Gräber zu pflegen, vor allem die vielen kleinen, in denen Kinder lagen, die oft nur ein paar Tage oder Monate alt geworden waren.

Manchmal machte mich das so traurig, dass ich über längst gestorbene kleine Kinder weinen musste. Großarl war das kinderreichste Dorf Großdeutschlands und alle Bäuerinnen hatten das Mutterkreuz verliehen bekommen, aber keine trug es, die meisten hatten es zwischen Herrgottswinkel und Hitlerbild in der guten Stube an die Wand gehängt. Dass ich Gräber pflegte, verstand niemand. Höchstens zu Allerheiligen brachte man die Gräber in Ordnung und stellte Kerzen auf. Nur die junge Organistin, die oben am Dachboden ein Zimmer bewohnte, verstand mich. Mein Bruder und ich durften am Sonntag in der Kirche den Blasebalg treten und sie gab uns Orgelunterricht. Wir hatten keine Ahnung, wie die Kriegssituation war, es gab ja nur die Nazimeldungen, an BBC war nicht zu denken. Die Volksschule
war geschlossen worden, es wurden Heimkehrer und Flüchtlinge dort untergebracht, spärliche Informationen stellten sich oft als Gerüchte heraus. Aber schließlich brachten die Nachrichten die Gewissheit: Das tausendjährige Reich hatte am 8. Mai 1945 kapituliert. Der Krieg war zu Ende.

Ich hatte in den letzten Wochen schon mehrmals leichte Bauchschmerzen gehabt, am Tag aber, an dem sicher war, dass der Krieg aus und die Amerikaner da waren, bekam ich rasende Schmerzen. Der Arzt diagnostizierte eine akute Blinddarmentzündung. Im Spital von St. Johann wurde ich sofort operiert. Ich wachte aus der Narkose in einem Zimmer mit mehreren Frauen auf. Am Bett der einen stand ein Mann, der bei seiner Frau blieb, bis sie ein paar Stunden später starb. Es war der Totengräber von St. Johann. Er war dünn und unendlich traurig, er saß noch lange bei seiner toten Frau und erzählte vor sich hin, von den Toten der letzten Wochen und wen er alles hatte eingraben müssen, ohne Sarg, ohne Gebet, ohne Namen. Mir erschien er als ein unheimlicher Bote einer Welt, der ich – wir – gerade noch entronnen waren.

Wir fuhren zurück nach Salzburg. Unsere Wohnung war unversehrt geblieben, weder Bomben noch Gestapo hatten sie verwüstet, und ganz langsam gewöhnte man sich daran, dass man nicht mehr vorsichtig sein musste, dass man wieder in die Stadt gehen und ganz offen mit Menschen sprechen konnte. Es war noch sehr ungewohnt. Es ist schwer, diese tiefe Verunsicherung zu überwinden. Es gab Schlimmeres in der Nazizeit als unser, als mein Schicksal. Ich erfuhr von meiner Großmutter aus Theresienstadt, von meinem Onkel aus Dachau, von einem Freund meiner Eltern aus Mauthausen, aus Berichten und Büchern. Ich sah kurz nach dem Krieg im Salzburger Festspielhaus Filme über Auschwitz und Buchenwald. Ich wusste, wie viele unserer Verwandten die Lager nicht überlebt hatten. Und trotzdem: dieses Erleben war das meine und es lässt mich nicht los. Bis heute.“

Angelica Bäumer

Der Text, der von Angelica Bäumer für „A Letter To The Stars“ 2005 gekürzt wurde, ist in seiner gesamten Länge im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, in dessen Auftrag er geschrieben wurde, einsehbar.

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